Race across the Alps 2021
Bericht von Thomas Hoffmeister
Ende Juni 2019 in Nauders, nachts nach 2 Uhr am Ofenpass passiere ich die bis dahin um die Führung beim Race across the Alps kämpfenden Paul Lindner und Berger Robert und gebe die Spitze des Rennens nicht mehr her…
Ich werde getragen von Anfeuerungsrufen meines Teams und Fans an der Strecke bis ins Ziel. Ich siege beim RATA mit dem besten Team der Welt, der Schweinecrew vom Petz Racing Team im Rücken. Noch heute, 22 Monate später, flashen mich die Erinnerungen. Täglich laufe ich an dem auf Leinwand gezogenen Zielbild vorbei und trage eine gewisse Genügsamkeit und Zufriedenheit in mir…
Dennoch reifte im Winter 2019/2020 der Gedanke eines zweiten Starts, die Schinderei und krampfgeplagten Muskeln sind vergessen. Das zweite RATA soll her. Schneller als uns allen lieb war, beendete eine Pandemie die Saison und so gab es in 2020 nicht ein Radrennen für mich. Saisonschluss Anfang April, ein Novum in meiner Zeit als Radrennsportler. Die ausgefallene Saison war verschmerzbar, neuer Job und viel Zeit mit der Familie waren nicht minder wichtig und so kommt es mir heute so vor, als ob die lange Offseason das System neu gebootet hätte. Ich fühle mich stärker denn je, nicht nur im Kopf. Für das bevorstehende RATA glaube ich sogar besser vorbereitet zu sein.
Warum bin ich so zuversichtlich?
1. Die aktuelle Form ist einen Ticken besser als 2019, die Trainingsauswertungen bestätigen das. Bereits im Januar lief der Stufentest mit 20 Watt mehr ggü. 2019. Ende April gingen 60min mit 317 Watt (~ ca. 4,6 W/kg) im Müglitztal im mittleren L3-Bereich durch und selbst im gehassten L5 komme ich ganz passabel durch. Die Waage zeigt inzwischen wieder knappe 69 Kilogramm und ich habe von November 2020 bis heute ca. 8.500 Kilometer auf dem Velo abgespult.
2. Das Team steht! Die Schweinecrew wird das 6. RATA in der Schweinekarre um Fahrer Hilde managen. Matze Reinfried – einer der besten Rennfahrer Dresdens und RATA-Dritter 2017, Peter Baldauf – Frohnatur mit Aufstieg zum Plempenmeister und Vincenzo Porstmann – Social Media Ungeheuer und Motivator sind meine Crew im Begleitfahrzeug. Trainer Robert Petzold wird am Rechner und telefonisch da sein, als säße er selbst im Auto und ich denke auch meine Allgäuer Freunde Manu mit Stina werden irgendwo auftauchen.
3. Das Material. Zur Erinnerung, das Addict wog 2019 rund 5.500gr. und ist heute Ersatz-/Trainingsrad. Der Wettkampf wird auf meiner neuen Rennfeile gefahren, was ich mir in der rennfreien Zeit sukzessive aufgebaut habe. Die Waffe wird in Nauders mit sub5kg am Start sein, dies insbesondere Dank der Unterstützung von AX-lightness Composites, denn die montierten Ultra25t bringen nur 790gr. auf die Waage und sind für ein Langdistanzrennen über 14000 Hm das non plus ultra. So spare ich alleine an den Laufrädern 250 Gramm. Weitere 150 Gramm kommen durch eine Leihgabe aus dem hohen Norden, ich darf Topias Thomsen Clavicula SE montieren.
4. Die Konkurrenz! Die schläft nicht, bisher sind 34 Starter gemeldet. Das Starterfeld scheint in der Spitze breiter besetzt. Paul Lindner schrieb mir zuletzt, er träume von einem kolossalen Wettkampf. Herbert Proß – ein Amateur-MTB Weltmeister. Frederik Böna – Weltrekordler, in meinen Augen ein „noch“ zu hoch gehandelter Mann und nicht zuletzt Pascal Wiederhold, der den reinen Daten nach zu urteilen, zur Tour de France gehört. Und natürlich die Dunkelziffer, ja die Dunkelziffer. Es ist auf jeden Fall fast die doppelte Anzahl an Startern gemeldet und damit verspreche ich mir einen sehr spannenden Wettkampf.
Noch 51 Tage bis zum Start…
Nun sind es noch 51 Tage bis zum Start, die Coronazahlen reduzieren sich und in Österreich findet kommendes Wochenende das Race arround Niederösterreich statt. Der Dreiländergiro ist abgesagt, aber das Organisationsteam um das RATA geht derzeit von sehr guten Chancen auf eine Durchführung des RATA aus, immerhin lockert Österreich ab 19.5. für Tourismus, Sport und Veranstaltung die strengen Corona-Schutzmaßnahmen. Ich selbst bin auch sehr zuversichtlich und gebe weiter Gas. In 4 Wochen geht es zum letzten Schliff ins Höhentrainingslager…..
Trainingslager Livigno
Livigno ist durch, 8 Tage auf 2.050 m üNN leben und in der Höhe trainieren. 28 h mit rund 800km habe ich abgespult. Wetter hat glücklicherweise gepasst. Die Form stimmt mich zuversichtlich, ich glaube ich habe immer noch einen Ticken mehr drauf als 2019. Das Wettkampfrad wurde ausnahmslos gefahren und erweist sich als echter Glücksgriff, denn ich fühle mich pudelwohl darauf. Übrigens wächst die Starterzahl kontinuierlich. Inzwischen stehen 42 Sportler auf der Startliste von Nauders, darunter Lukas Kienreich, ein zuverlässiger TOP5-Fahrer und ein gewisser Dominik Schranz, der 2018 Dritter wurde.
Nauders
Anreise in Nauders bereits 5 Tage vorm Start, besser an die Bedingungen akklimatisieren, zählte ich auch zu einem Schlüssel, einen besseren Start als vor 2 Jahren hinzulegen und schon war er da der Start des Race across the Alps 2021.
Race across the Alps 2021
Nach Rennfreigabe in Reschen ging die Post ab, in Prato hielt ich kurz um die Blase zu leeren und legte ab Einsteg ins Stilfser Joch um die 280W an, die problemlos bis zur Passhöhe gefahren wurden. 1h 26min die Aufstiegszeit für 1.820hm, so schnell war ich noch nie oben und gemeinsam mit Daniel Biehler überfuhren wir als Erste den Passo dello Stelvio. An der Ampel in der Abfahrt waren wir wieder zu viert, Pauli Lindner und Dominik Schranz waren auf uns aufgefahren und dieses Quartett nahm gemeinsam den Gavia in Angriff. Beine gut, Temperatur gut, Blase voll. Kurz vorm Einstieg hielt ich wieder zur kleinen Toilette und konnte mich nach Aufschluss auf die drei Kollegen schnell absetzen, ich war wohl zu diesem Zeitpunkt der Stärkste und fuhr bis auf den Gavia mit 257W rund 3 min auf Dominik Schranz und Daniel Biehler heraus. Mein Team stand am Pass bereit, wir wechselten aufs MTB und so konnte ich die Piste den Gavia runter ordentlich reinstechen. Das war in meinen Augen eine gute Strategie, denn unten im Gavia wechselte ich wieder das Rad und hatte wohl weitere 2 min in der Abfahrt herausgefahren. Bei diesem Radwechsel eine dritte kleine Toilette. Die Pionierblase war echt nervig und kostete stetig Zeit. Bis Edolo hielt ich mich zurück und wechselte kurz danach wieder auf meine Rennmaschine, die die Crew am Gaviapass ins Begleitfahrzeug geladen hatte. Im Irrglaube auf 5 min Vorsprung genehmigte ich mir die vierte Pinkelpause und durfte erschreckt feststellen, dass die beiden Verfolger den Vorsprung auf den abschüssigen Kilometern von Ponte di Legno zugefahren hatten. Die erste krasse Fehleinschätzung des Rennens und im Nachhinein auch die Erkenntnis, dass ich hier einfach zu nachlässig war. Viermal Pinkeln, lockeres Rollern bis Edolo haben ein gutes Zeitpolster dahingehen lassen und so befand ich mich wieder im Dreikampf mit den netten Kollegen aus Tirol.
Das Rennen begann also wieder vom Neuen und es wurde richtig schnell. Wir drei harmonierten klasse und fuhren richtig schnell gen Mortirolo. Gegen 20 Uhr erreichten wir Mazzo. Ab hier geht es auf den steilsten Berg des RATAs. Der Mortirolo: 11,4 km mit 1.258 Hm standen auf dem Programm. Insbesondere Daniel Biehler drückte mächtig in den Anstieg rein, er und Schranz (Tschuppi) hatten nur 34/28 montiert, also pressten die beiden mächtig die Kolben aufs Pedal. Ich tat mich mit meinen 34/32 leichter und so kam es dann auch, dass D. Biehler nach dem ersten Drittel im Mortirolo abgehängt wurde. Von nun an übernahm Tschuppi mehr und mehr die Rennkontrolle, sein Tempo war hart und ich ließ ihn irgendwann aus Vernunft ziehen. Weit weg war er nicht, aber es war der erste Fingerzeig eines späteren Matchwinners. An der Passhöhe einigten wir uns auf eine gemeinsame Abfahrt und den Plan gemeinsam den Bernina anzusteuern. Tempo über den Aprica fortan hoch, permanente Wechsel in der Führung, kein Vergleich zum RATA 2019. Faktisch bügelten wir Aprica einfach weg und gingen bei plötzlich einsetzenden Starkregen in den Bernina. Mein Boxenstopp in Tirano ging deutlich schneller über die Bühne als der von Tschuppi, er brachte mir ca. 2,5 Minuten Vorsprung, den ich verteidigen wollte. Bis kurz vorm Abzweig nach Livigno war ich fast 6 Minuten schneller als zum RATA 2019, doch Tschuppi drückte auch aufs Tempo und hat mich auf diesen knapp 30 km wieder eingeholt. Spätestens hier hat er in meinem Kopf ein Kino angeschaltet, was ich ab hier in Dauerschleife sah. Ich hatte jetzt diesen im Vorfeld von Paul Lindner gewünschten kollosalen Wettkampf, aber eben mit Dominik Schranz. Bernina to Davos gleiches Spiel wie zuvor, stete Führungswechsel, steter Zug auf der Kette, hohes Tempo. Ein geiles Match mit Dominik Schranz. Neben den bis dahin klasse Auffahrtszeiten wohl der wesentliche Schlüssel zu den im Ziel aufgezeigten Rekordzeiten. In Davos war dann Schluss für mich, ich ließ reißen im Einstieg zum Flüela und wusste, welche Euphorie das bei Tschuppi auslöst.
Ich kannte die Lage aus 2019 genau, der Stärkste zu sein. Man mobilisiert plötzlich ungeahnte Power, nur diesmal mobilisierte diese mein Konkurrent Dominik, dessen Rücklicht immer kleiner wurde. Ich hatte mich nun befreit von diesem Battle, dem Druck und konnte meinen Stiefel fahren. Doch dieser Stiefel war träge, er lief nicht mehr schnell. Mir war nun wichtig Platz 2 zu sichern und ein kleiner Funken Hoffnung schimmerte in mir, dass Tschuppi sich übernommen hatte. Es wurde hell in der Flüelaabfahrt, der Ofenpass zeigt in der Analyse das Ausmaß der Erschöpfung. 9 min langsamer als zum RATA 2019, am Umbrail weitere 5min langsamer als 2019. Ich war angekommen im Leistungsloch. Nach hinten waren rund 45min Sicherheitsabstand, da konnte nichts mehr anbrennen und so nahm ich die Situation gelassen. Das Ziel war so nah und die eigene Leistung war unvorstellbar gut, ich lag immer noch auf Rekordkurszeit.
Das muss man sich mal vorstellen, ich konnte noch unter 20:40h finishen. Eine Zeit, wie von einem anderen Stern war das bis dahin. Aufgestellt von meinem Freund und Trainer Robert Petzold, ich wagte nie daran zu glauben schneller sein zu können als er. Und doch lügt die Uhr nicht, es war möglich, diese Zeit noch zu knacken. Abfahrt Stelvio – Prato mit ein, zwei Verunsicherungen für meine Verhältnisse top lief die Maschine plötzlich wieder. Nun wollte ich das beste nochmal herausholen und drückte am Reschenpass, was der Maschinenraum noch hergab, wieder mal schneller als zum RATA 2019 und zwar ganze 2 Minuten. Am Ende standen in Nauders 20:33h auf der Uhr. Ich war wirklich zufrieden mit der Situation, ich bin ein starkes Rennen gefahren. Mit Tschuppi habe ich einen würdigen und einfach stärkeren Sieger davonfahren lassen. Er hat sich den Sieg mit steter Arbeit, keinen taktischen Spielchen absolut verdient und hat mit 20:03h einen neuen Streckenrekord aufgestellt.
Glückwunsch Tschuppi!
Danke
Meine Crew hat unermüdliche Arbeit geleistet, die Schweineplempe war köstlich, Eure Motivation hat mich getragen von Pass zu Pass. Ihr seid, auch wenn wir heuer Zweiter sind, dass beste Team der Welt. Ich danke Euch so sehr dafür.
Danke auch an meine Sponsoren AX-lightness Composites und Maris Computer GmbH, ohne deren Unterstützung ich hätte nicht so schnell sein können. Danke an Stina für die göttliche Therapie am Abend und danke an Kurt Folie und Nauders für die Organisation des Race across the Alps.
Gibt es ein 3. RATA für mich, nichts ist unmöglich, aber die Saisonplanung ist noch weit weg.
ich finde immer nur den Bericht von 2021
Das RATA 2022 läuft ja auch gerade. Ansonsten sind hier alle Berichte aus den letzten Jahren:
https://www.petzracing.de/2015/06/rata-2015/
https://www.petzracing.de/2016/07/race-across-the-alps-2016/
https://www.petzracing.de/2017/07/rata-nr-3-sieg-und-neuer-streckenrekord/
https://www.petzracing.de/2018/06/race-across-the-alps-2018/
https://www.petzracing.de/2019/07/rennbericht-rata-2019/
https://www.petzracing.de/2022/06/race-across-the-alps-2021/
Viel Spaß beim Lesen!