Ötztaler Radmarathon 2019
Alle guten Dinge sind drei?
Nach 2016 und 2017 war dies meine dritte Teilnahme beim Ötztaler Radmarathon. Die Saison verlief mehr als durchwachsen. Erst im August kam ich in Form, die dann pünktlich zum Ötztaler Radmarathon auch so war, wie ich mir das wünschte. Das Gewicht mit 61 kg nicht ganz ideal, aber dennoch gut. Ich bin stolz darauf, im Juni in der Formkrise die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Erstmal heraus nehmen, natürlich noch mehr Fitness zu verlieren und mir folgerichtig teilweise anhören zu müssen, das ich die Saison besser schon abhaken soll. Ich hab sie reden lassen und vernünftig neu aufgebaut. Dabei auch Glück gehabt, das der Sommer auch mal Phasen hatte, wo ich mich in der Dachgeschosswohnung nicht wie in der Sauna gefühlt habe und mich gut erholen konnte. Mit Sylvio „k77“ und Daniel bin ich sehr schöne, sehr flotte und effektive Rennradtouren gefahren im Sommer. Das hat sich ausgezahlt, schon beim Krušnoton in Teplice. Danke Euch beiden!
Was waren meine Ziele für den Ötzi?
Als aller erstes gesund ankommen! Der Ötzi ist für mich mit seinen rasanten Abfahrten, dessen Kurven mir als Dresdner alle nicht ganz so gut bekannt und gewohnt sind, immer wieder eine mutige Angelegenheit. In welchen uneinsehbaren Kurven kann man es voll laufen lassen? Welche Kehren machen doch zu? Ist man unsicher, bremst man lieber einmal mehr. Und jedes Jahr hoffe ich, das sich auf dem Weg nach Ötz keiner hinlegt, wenn das Feld mit 60 km/h ins Tal rauscht.
Als zweites Ziel hatte ich mir vorgenommen, um den Sieg zu fahren, wohl wissend, das dies mittlerweile eigentlich ziemlich aussichtslos ist. Insofern stand ich auch nicht 100% hinter diesem Ziel und wäre auch mit einer persönlichen starken Leistung sehr zufrieden gewesen.
Der Ötztaler Radmarathon als Veranstaltung räumt den Topfahrern weniger Raum wie früher ein, was sicher der richtige Weg ist. Topleistungen zu würdigen ist ok, aber blinde Heldenhuldigungen sind es meiner Meinung nicht mehr. Es ist und bleibt ein Jedermannrennen und eine Breitensportveranstaltung – die breite Masse, Hobbyfahrer mit 3000 bis 10000 Jahreskilometern kämpfen um ein persönlich wertvolles Finish. Das muss im Mittelpunkt stehen. Wir als (Top)-Fahrer sind allermeist nicht finanziell von Rennerfolgen abhängig. Umso wichtiger, das man für sich persönlich auf dem schmalen Grat der Radsportleidenschaft den richtigen Weg findet und nicht vollkommen frei dreht und alles nur dem eigenem Erfolg unterordnet. Sei es eben in Abfahrten oder viel wichtiger, in der Vorbereitung und im Trainingsalltag. Es mag sein, das sich das besonders leicht sagt, wenn man eben mal nicht ganz vorn ist oder nicht (mehr) mit der absoluten Spitze mithalten kann, quasi abgehangen wurde. Abgehangen wurden wir beim Ötztaler 2019 in der Hochgeschwindigkeitsabfahrt vom Kühtai nach Kematen, als sich an Position 14 eine Lücke auftat. Mit 105 km/h in der Gruppe fühlte ich mich aber auch wohler als mit 120 km/h. So befanden sich Tobi, ich und viele weitere Mitfavoriten in der 70-köpfigen Verfolgergruppe. Zwei Minuten Rückstand hatten wir in Innsbruck. Tobi adelte sich bis zum Brenner und fuhr 70% der Zeit von vorn und zog unsere Gruppe auf den zweiten Pass des Ötztalers, wo die Führungsgruppe wieder in Sichtweite war. Tobi trat im Schnitt mehr als eine Stunde lang 315 Watt und hielt den Rückstand auf die Spitzengruppe quasi im Alleingang in Grenzen. Warum? Damit ich vor dem Jaufenpass noch realistische Siegchancen behalte! Ich fühlte mich sehr gut, glaubte zwar nicht daran, den Ötzi aus eigener Kraft gewinnen zu können, aber Defekte, Stürze oder schlechte Tage können auch den schnellsten passieren, sodass ich alles daran setzte, in der Verfolgergruppe so schnell wie möglich das Ziel zu erreichen und vielleicht doch noch nach ganz vorn zu kommen. Der Jaufenpass lief geschmeidig, für meinen Geschmack etwas zu langsam, sodass ich zwischendurch etwas auf das Tempo drückte und hoffte, das die schnellen Leute auch mitgehen. Leider hefteten sich nur Patrick Hagenaars und Florian Lipowitz ans Hinterrad. Keiner der schnellen Italiener. Nach 10 Minuten in Führung und ohne wesentliche Änderung der Rennkonstellation resignierte ich und ging aus der Spitze. Auf dem Jaufenpass waren wir noch etwa 15 Fahrer und stürzten uns in die kurvige Abfahrt, dessen Ideallinie ich mir in der Gruppe von hinten anschaute. In Sankt Leonhard angekommen, hieß es 4 Minuten Rückstand. Wieder gab es keine Anzeichen in der Gruppe, den Rückstand nach vorn minimieren zu wollen. Schade! Also machte ich mich fort und fuhr auf Rang 4 liegend mein Tempo. 280 bis 290 Watt fühlten sich nicht zu intensiv an. Mehr wäre auch gegangen, aber nur auf Kosten des Fettstoffwechsels. Vor Schönau kam Patrick Hagenaars in Sichtweite. Er sprang kurz vor dem Jaufenpass nach vorn aus der Gruppe und fuhr die Abfahrt allein und einen Vorsprung heraus bis Sankt Leonhard. Jetzt, eine gute Stunde später stellte ich ihn, wir wünschten uns beide noch viel Glück. Ich hatte nun Platz drei inne, den Rückstand auf die Spitze auf 3 Minuten reduziert und eine Endzeit von 6:53 bis 6:54 im Blick. Dadurch etwas zu viel in Euphorie gebadet, überzog ich. Fuhr noch immer 270 Watt, merkte aber die muskuläre Erschöpfung und leicht ansteigenden Puls. Minutenlang im Wiegetritt ackernd, noch ein paar frische Muskelfasern angesprochen, ging es gut auszuhalten. Rückblickend hätte ich mir den Wiegetritt besser für die letzten steilen Kilometer am Timmelsjoch aufgespart und die Leistung etwas reduziert. Neben etwas zu viel Arbeit im Wind, war das mein erster größerer Fehler im Rennen. Der zweite bahnte sich schon an. Bereits recht weit vor Schönau waren meine zwei Flaschen Plempe leer und ich hatte Verlangen nach noch mehr Plempe oder eben irgendwas anderes energiereiches. An der offiziellen Labe fuhr ich in Zeitfahrmanier dummerweise durch, ich war wohl schon etwas grau im Kopf. Mein Fehler Nummer 2. Nun stand der Schlussanstieg im Timmelsjoch bevor. Die letzten 7 km von Schönau bis zur Passhöhe. Dustin reichte mir wie ausgemacht eine frische Flasche Schweineplempe. Kurz danach platzte ich so richtig und meine Leistung sank auf unter 200 Watt ab. An der letzten offiziellen Labe, bekam ich endlich einen Becher Cola. Vom Rennleiter auf dem Motorrad noch zwei Gels. MTB-Weltmeister Daniel Federspiel feuerte mich an und fragte, ob ich noch Cola möchte. Danke für den großen Sportsgeist, aber nun ging leider auch nichts mehr rein bei mir. Alban Lakata und Tommaso Elettrico holten mich ein. Ich probierte mitzugehen und ging dafür wieder in den Wiegetritt. Der erste Tritt mit etwas mehr Kraft und mir zog es die Beine weg, als wären sie nur noch Gummi. Noch nie erlebte ich so ein muskuläres Versagen. Tja, nun machte ich Bekanntschaft damit, wie es ist, am Timmelsjoch so richtig geschlachtet zu werden. Noch ein kleiner Italiener knallte mich irgendwo weg und ich musste hilflos dabei zusehen. Oben fuhr ich Schlangenlinien und nahm von Andi noch die letzte Flasche Plempe entgegen. Gern hätte ich ihm weniger Leid und für seine Mühen eine bessere Platzierung präsentiert. Ich schaute mich nun auch nicht mehr um, wollte gar nicht mehr wissen, wer mich nun noch überholen wird. Im Gegenanstieg zur Mautstation war das Patrick Hagenaars, der heran rauschte und mich motivierte, doch mitzugehen. Es ging aber nichts mehr. Die Erlösung kam für mich in Form von Stefano Checchini, dem bunten und zwielichtigen Vogel in der Marathonszene. Als er mehrmals „Finito“ sagte und auf italienisch artikulierte, in Sölden keinen Sprint mehr um Platz 7. zu wollen, wurde er mir erstmals sympathisch. Das Rennen in Gedanken schon beendet, rollten wir nach Sölden und ins Ziel. Nach 7:04h und 6:59h nun 7:00h als Endzeit.
Drei Ötzi-Zeiten auf die ich sehr stolz bin. Ein bisschen ärgert es mich, das ich bei den guten Bedingungen die 6:54h, die ich für mich beim Ötzi als persönlich machbar ansehe, verfehlt habe. Dafür habe ich ein aktives Rennen geboten und einiges riskiert. Noch will ich nichts endgültiges sagen, aber im kommenden Jahr werde ich vermutlich den Ötztaler Radmarathon nicht auf Angriff fahren. Wenn sich die Situation ergibt, in den Dienst der Mannschaft stellen und mich bei Tobi bedanken. Gern würde ich in zwei Jahren mit vollem Biss noch ein letztes Mal in Sölden richtig angreifen. Vielleicht gibt es bis dahin auch Kontrollen oder die ein oder andere Gestalt ist aus der Szene verschwunden.
Für uns als Team war der Ötztaler Radmarathon jedenfalls das absolute Highlight des Jahres. Daran hat unser Plempenmeister Holger, der den Ötzi grandios in 11:55h finishte und eine tolle Geschichte schrieb, einen großen Anteil. Ebenso die vielen Helfer im Team, die in Sölden dabei waren. Dustin, Thomas, Volker, Annett, Andi, Peter, Hilde, Jörn, Gallo Jens, und natürlich Christina und Manu. Danke Euch!
Hallo Robert,
Dein Bericht ist super. Die letzten Sätze mit der Anspielung auf sagen wir Doping, finde ich sehr gut. Es gibt schon einige Fahrer, die suspekt sind was Leistungen anbetreffen. Deshalb fahre ich kaum noch Radmarathons wenn solche Leute starten. Da siehst du kaum Land. Obwohl ich mich mit 59 kg zwischen 4.9 bis 5.2 Watt pro Kilogramm bewege.
Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg.
Liebe Grüße Marco