Race across the Alps 2018
Erfahrung
Mit dem Wort lässt sich das RATA 2018 wohl treffend beschreiben. Sie ist einfach aus drei RATA Teilnahmen da und sie lässt mich mittlerweile ruhig schlafen in der Nacht vor dem Rennen. Beruhigend. Ich weiß, was mich auf der 532 km langen Strecke erwarten wird. Meine Crew weiß es ebenso. Ich werde meinen Stiefel durchfahren. Meine Crew wird mich dabei bestmöglich unterstützen. Wenn nötig werden wir auf die ein oder andere negative Tendenz im Rennen reagieren. Wenn zum Beispiel der Magen nicht mehr wie gewünscht die Schweineplempe aufnehmen möchte, die Dosierung rechtzeitig anpassen. Routine ist eingekehrt. Verleugnen kann ich das nicht. Und dennoch: Wie groß war die Wahrscheinlichkeit auch ein viertes mal ohne Regen durch die Alpen zu kommen? Viele vierblättrige Kleeblätter muss ich gefunden haben, denn es fiel auch 2018 nicht ein Tropfen vom Himmel. Nur kalt war es. Bis zu minus drei Grad. Das geringere Übel. So oder so, ich hätte es genommen, wie es gekommen wäre. Mit einer Abgeklärtheit schreibe ich darüber, das die Leser meinen könnten, das RATA wäre mittlerweile eine lockere Ausfahrt für mich. Gewiss so ist es nicht. Es ist die nüchterne Abgeklärtheit, die man neben aller Leidenschaft braucht um ein RATA erfolgreich zu fahren.
Nur 20 Finisher bei extremen Bedingungen
Die Nicht-Finisher-Quote war dieses Mal sehr hoch. 30 Grad betrug der Temperaturunterschied. Vom warmen Sommerabend in Tirrano bis zum winterlichen Frost auf dem Bernina lagen beim RATA nur 2 Stunden Zeitdifferenz. Das ganze gepaart mit einem körperlichen Erschöpfungszustand der bereits in Tirrano die meisten Radsportler vom Rennrad getrieben hätte. Der Bernina mit seinen fast 40 km langen Anstieg und über 1800 Höhenmetern bereitet auch mir immer wieder Ehrfurcht. Es ist der Berg, wo selbst 200 Watt irgendwann kaum noch zu halten sind.
Schlüsselszene am Bernina
Wenn auf dem Bernina das Ziel wäre, könnte man damit vielleicht noch gut umgehen. Aber am Bernina ist nach über 10 Stunden gerade mal Halbzeit beim RATA. Eine Erkenntnis, die einen mental zermürben kann. Zu dem Zeitpunkt am Bernina trat Rubi bei straffen und kalten Gegenwind vor mir so eine hohe Leistung, das ich dahinter noch 230 Watt treten musste. Vielleicht eine Schlüsselszene. Nach 10 Stunden Hatz gegen- und miteinander hatte ich keine Lust mehr auf das Duell mit Rubi. Es wurde mir zuviel. Ich wollte mein Rennen mit meinem eigenen Tempo fahren und mir nicht die Geschwindigkeit diktieren lassen. Doch Rubi nahm raus und passte seine Fahrweise an meine an. Ihm war viel daran gelegen, das RATA bei diesen windigen Bedingungen möglichst lange gemeinsam zu bewältigen. Nach seiner frühen Attacke im Stelvio zu Beginn und meiner Tempoverschärfung am Mortirolo, wo wir beide jeweils einmal getestet haben, was der andere so kann, war klar, das wir uns hier beim RATA 2018 so ziemlich genau auf Augenhöhe bewegen. Nicht von unserer Körperstatur, aber von der Leistung. Das erstaunte mich am steilen Mortirolo auch, der mich vermeintlich hätte bevorteilen sollen. „Je steiler, desto geiler“ sagte Rubi einige Male sehr locker, wo ich gerade mit Puls 170 versuchte ihn abzuschütteln. Ich hätte ihn für die Worte in dem Moment ins Gesicht schlagen können. „Wieso platzt du nicht einfach mal weg jetzt“, dachte ich mir insgeheim. Es trieb die Leistung am Mortirolo fast aus Verzweiflung so hoch, das wir in 61 min die Passhöhe erreichten.
Sturm auf den Mortirolo
Es dürfte die schnellste Zeit sein, mit der ein Fahrer im Rahmen des RATA den Mortirolo erreichte. Nicht gut für die körperliche Verfassung im weiteren Rennverlauf. Denn in dieser Zeit war durch die hohe Intensität kaum an Trinken und vernünftige Energiezufuhr zu denken. Die Schweineplempe ging in dem Moment nicht mehr in den Körper rein. Einiges an Cola musste in der kurzen Pause oben her, um dem drohenden Leerfahren zu begegnen. Auch nach eine handvoll Gummibärchen war mir auf dem Mortirolo. Sie sahen aber nichtmal den Magen und während der Abfahrt vom Mortirolo würgte ich sie beim Versuch des Herunterschluckens wieder heraus. Es war gerade sehr Ernst und das Rennen stand für mich auf der Kippe. Zum Glück konnte ich mich auf der Abfahrt nach Edolo wieder fangen. Es ließ mich anerkennen, das ich mich wohl doch besser mit einer Zusammenfahrt mit Rubi zufrieden geben sollte. Wie es Rubi wirklich ging, war für mich schwer einzuschätzen. Welche Form der Lockerheit war gespielt, und welche war echt. Letztlich war es auch egal und jeder kämpft mit sich und auf seine Art mit den Strapazen. Kopf an Kopf. Ab und an unterhielten wir uns. „Zapfig“ heißt kalt auf tirolerisch. Diese Vokabel lernte ich bereits am Gavia von Rubi.
Zapfig war’s
Es war wirklich ein kühles Rennen. Jede Abfahrt vom RATA, ausgenommen die vom Mortirolo und die vom Aprica haben wir gefroren. Richtig zapfig wurde es aber erst nachts. Die Abfahrt vom Albula war schier endlos. Wir zitterten beide und hatten Schwierigkeiten die Schalthebel noch zu bedienen, so schlecht durchblutet waren die Hände. Geteiltes Leid. Nachts dachte ich immer wieder, wie schön doch eine warme Dusche und ein warmes Bett jetzt wären. Rubi wollte zu seinen Kindern. Wir beide Idioten hier, wir quälten uns und waren zunehmend erschöpft. Bis zum Bernina waren wir so schnell unterwegs, das wir nun dem Tempo Tribut zollen mussten. Noch am Albula lagen wir etwa auf Rekordzeit vom Vorjahr. Von da an verloren wir an jedem Anstieg Zeit. Aber es war auch gar kein Ziel eine neuerliche Rekordfahrt anzustreben. Nie, auch nicht vor dem Rennen.
Shake Hands in Davos
In Davos gab es das erste Mal Shake Hands zwischen uns. Das RATA ist landschaftlich wirklich schön, doch was für ein zähes Stück Strecke ist das immer wieder bis in dieses hässliche Davos. Hier kamen nun auch in mir die Gedanken, dieses RATA nicht nur gemeinsam zu fahren, sondern gemeinsam zu Ende zu bringen und den Sieg zu teilen. Als Sportler hat man ein großes Ego und teilt einen Sieg nicht so schnell. Aber hier und heute war es einfach angebracht. Spätestens am Flüelapass war es beschlossene Sache zwischen uns. Unser Vorsprung auf die Verfolger war so groß, dass wir uns keinen Druck mehr machen mussten. Anständig ins Ziel fuhren wir dennoch.
Über den Ova Spin, Ofenpass, Umbrailpass, Stelvio und den diesmal dank eines elenden Windes zermürbenden Reschenpass. Mit jedem Anstieg sank der Puls weitere drei bis fünf Schläge. Nach 21 Stunden und 14 Minuten hatten wir es geschafft. Hand in Hand ins Ziel. Einmal mehr eine geniale Stimmung in Nauders. Ungewohnter Weiße ohne die Stimme des verletzten Othmar Peer, aber Martin Böckle und Pierre Bischoff machten einen wirklich super Job! Sieben Jahre RATA und nur zwei Sieger. Rubi gewann 2012, 2013, 2014, 2018. Ich stand 2015, 2016, 2017 und 2018 ganz oben.
Dieses RATA bin ich mit dem Gedanken angegangen, dass es vorerst meine letzte Teilnahme sein wird. Es war schön, noch einmal die Unterstützung entlang der Strecke zu spüren. Ich konnte es wirklich aufsaugen und genießen. Wie alle am Stelvio standen und mich anfeuerten. Das sind Gänsehautmomente im Rennen.
Die bemalte Strecke am Mortirolo. Überall Schweine. Auch versuchte ich stärker als letztes Jahr auf die Berge zu schauen. Teilweise gelang das wegen der großen Anstrengung natürlich mal wieder nicht so richtig, dafür hat Rubi zuviel gefordert. Aber weil ich im Gegensatz zum letzten Jahr etwas weniger Optimierung betrieb, der Leistungsmesser am Bernina (zum Glück) ausfiehl, fühlte es sich doch alles etwas freier und weniger belastend an, wie im Jahr zuvor, wo alles optimiert wurde und selbst eine leere Trinkflasche am Rad zuviel Gewicht bedeutete. All das war mir 2018 egal. Der Mond schien dieses Jahr. Das Licht reflektierte sich in den Bergseen am Bernina und Albula. Ein eindrucksvoll gespenstiger Anblick.
Von düsteren Träumen in den Nächten nach den vergangenen RATAs, die mir innerlich viel Druck bereiteten, ich aufstand, sogar wieder auf das Rad steigen wollte, das Licht im Zimmer anmachte, um das RATA zu finishen, blieb ich dieses Jahr verschont. Nur eins sagte ich vorletzte Nacht im Schlafwandelmodus etwas gestresst: „Los, weiter gehts!“ In diesem Sinne auf eine mögliche fünfte Teilnahme im Jahr 2019. Die letzte.