Transcontinental Race 2016
Ein Bericht von Björn Lenhard
Wie alles anfing
Als Mike Hall mich letztes Jahr nach PBP anschrieb und gratulierte, musste ich erst mal googeln, wer das denn ist. Ich hatte schon vom Transcontinental Race (TCR) gelesen und kannte auch die groben Details davon. Mike oder auch Kristof Allegaert konnte ich aber noch nicht zuordnen. Überhaupt war das TCR zu dem Zeitpunkt kein Thema für mich. Ich wollte schon gerne mal so eine Strecke fahren, aber erstens beansprucht das ziemlich viel (Urlaubs)-Zeit und zweitens wollte ich erst einmal etwas um die 2000 km fahren. Da die Dinge im Leben meistens anders kommen, als man denkt, war das Thema Urlaub schon bald darauf kein Thema mehr. Was anfangen mit der wieder neu gewonnen Freiheit? Also bewarb ich mich um einen Startplatz beim TCR, den ich auch bekam. Einerseits freute ich mich darüber riesig, andererseits hatte ich auch etwas Bammel davor. Die Streckenlänge, die unbekannten Länder auf dem Balken und nicht zu letzt das Thema Hunde dort können schon etwas Furcht einflößend sein. So machte ich mich also an die Vorbereitungen. Mit demselben Setup wie in Paris konnte ich unmöglich starten. Vor allem die Stromversorgung unterwegs für Licht und Navi sollte unabhängig sein von jeglichen Steckdosen. Auch mussten ein paar Dinge mehr mitgenommen werden, sprich ich brauchte etwas mehr Stauraum am Fahrrad. Also wurde lange recherchiert, aber schlussendlich fand ich die richtigen Dinge für meine Bedürfnisse.
Für die Stromversorgung sollte ein SON Nabendynamo her. Er funktionierte unauffällig und sorglos und versorgte die Supernova Lampen und das E-Werk mit Strom. Als Tasche kaufte ich eine wasserdichte von Apidura für den Sattel. Zusätzlich brachte ich an diese noch zwei Getränkehaltertaschen an. Leider war ich damit nicht ganz zufrieden. Mir wackelte die Tasche etwas zu sehr. Egal ob mit oder ohne Flaschen. In die Tasche kam alles was ich nicht so oft brauchte oder zu brauchen hoffte. Als erstes fürs Fahrrad: ein Ersatzreifen, drei Ersatzschläuche, Flickzeug, kleines Multitool, Luftpumpe, etwas Klebeband und Kabelbinder. Danach dann noch mein zweites Set Kleidung bestehend aus Hose, Unterzieher, Trikot und Socken sowie die Regenjacke. Desweiteren kamen noch feuchtes Toilettenpapier, Duschbad und Zahnputzzeug in die Tasche. Mehr passte dann aber auch nicht mehr hinein. Für etwas Essen und andere kleine Dinge wie Reisepass, Portemonnaie, Schloss und Handy hatte ich noch eine Lenkertasche. Leider war diese aber durch den Lenkeraufsatz schlecht zugänglich und nervte mich zunehmend. Als dritten Stauraum hatte ich noch einen kleinen Rucksack, eigentlich ist es eher ein Beutel auf dem Rücken. Der ist kaum zu spüren, leicht zugänglich und man hat ihn immer dabei. Ich nutzte ihn immer zum Einkaufen, für die Ärmlinge und Beinlinge und ließ auch über den Balkan immer die wichtigen Dinge gleich darin.
Ein weiterer wichtiger Punkt, vielleicht auch der wichtigste, war die Streckenplanung. Die Strecke sollte möglichst kurz, flach und immer mit einer Teerschicht versehen sein. In heimischen Gefilden ist das relativ einfach zu planen. Es gibt selbst in der Tschechei kaum mehr unbefestigte Straßen. Und wenn man sich unsicher ist, schaut man eben mal bei Google Streetview nach. Das planen mit GPSies ist bis zur Slowenischen Grenze dann auch überhaupt kein Problem. Aber quer über den Balkan gibt es kein Streetview. Welchen Zustand die Straßen haben, lässt sich nirgends feststellen und eigene Erfahrungen von dort habe ich nicht, da ich noch nie da war. Da die schnellsten Wege zumeist die großen Hauptstraßen sind, war dann relativ schnell klar, dass ich dort nur diese nutzen werde. Alles in allem war der Track 3770 km lang und mit 53000 Hm versehen.
Anreise und der Tag vor dem Start
So gerüstet fuhr ich am am 26.07. los. Mit der Deutschen Bahn von Dresden bis Aachen. Wie immer ein Erlebnis der besonderen Art. Im negativen Sinne. Von Aachen ging es am Abend noch 30km weiter mit dem Rad ins holländische Valkenburg. Interessant daran sind die Radwege in Holland. Super ausgebaut mit sinnvoller Verkehrsführung. Ich habe dort nicht einen Rennradfahrer auf der Straße fahren sehen. Am nächsten Tag sollte es dann über Brüssel mit dem Rad bis kurz vor Geerardsbergen gehen, wo ich für zwei Nächte eine Unterkunft gebucht hatte. Raus aus Valkenburg ging es erst mal den „Col du Cauberg“ hoch. Klingt nach steil und lang. Der Berg hatte immerhin 12% mit einem Höhenunterschied von 70 Meter. Die absolute Höhe: 134 m. Sehr lustig die Holländer was die hier ausschildern. Immerhin kam hier das 32er Ritzel das erste Mal zum Einsatz. Schon recht bald vielen dann die schlechten Straßen und Radwege in Belgien auf. Es sind mit Abstand die schlimmsten auf der ganzen Tour gewesen. Dazu kam Wind, viel Wind und immer von vorn. Die ganzen 160km. Da Brüssel auf dem Weg lag, habe ich die Strecke genau durchs Zentrum geplant. Wenn ich schon einmal da bin und auch noch Zeit habe, wollte ich mir wenigstens kurz die Stadt anschauen. So fuhr ich also hinein. Zwischen all den Gebäuden der EU – Administration bis zum Manneken Piss. Überall ein paar Fotos gemacht. Und dann? Wow, erscheint dort das Schlaraffenland schlechthin. Schokoladenladen wechselt sich mit Waffel-Laden ab. Für einen bekennenden Schokoholiker eigentlich der Alptraum oder doch eher das Paradies? Eigentlich wollte ich ja eine Pizza essen gehen, aber schnell war klar, dass ich die hier nicht brauche. Ich konnte mich halbwegs beherrschen und kaufte mir erst mal nur eine Waffel mit Nutella. Gefolgt von einer zweiten. Die ich dann genüsslich am Straßenrand verzehrt habe. Nun ist man es ja schon gewohnt, das man meist etwas argwöhnisch beäugt wird. Zumeist nimmt man es schon gar nicht mehr wahr. So bekam ich auch die taiwanesische Frau erst mal gar nicht mit. Erst als Sie mich ansprach und fragte, ob ich am Freitag bei einem Radrennen in Belgien starten möchte, wurde ich hellhörig. Klar, wie mein Rad bepackt war, deutete schon auf etwas Bestimmtes hin. Ich bejahte und meinte nur das ich auf dem Weg nach Geerardsbergen sei zum TCR. Es stellte sich dann heraus, dass es Cheng-Hui Hseih ist und sie ebenfalls am TCR teilnimmt. Zufälle gibt’s manchmal! Nach etwas Fachsimpeln und einem obligatorischen Foto ging es weiter. Zum Atomium und dann hinaus bis kurz vor Geerardsbergen. Auf einem Bauernhof bezog ich Quartier. Am Abend dann noch eine Pizza im Ort und der Tag war perfekt.
Am Donnerstag wurde ausgeschlafen und ausgiebig gefrühstückt. So gerüstet ging es an den Ort des Startspektakels. Ich wollte schon mal sehen, wo am darauf folgenden Tag Einschreibung, Besprechung und Start stattfinden. Und natürlich die legendäre Muur van Geerardsbergen mit der Kapelle besuchen. Die Anfahrt war dann auch schon gleich unvergesslich. Nicht nur der Wind blies wieder besonders stark von vorn. Das hintere Schutzblech zerbrach hinter der Halterung und die Frontlampe viel auch ab. Tribut an die tollen belgischen Straßen. Das ging ja gut los. Hoffentlich erreiche ich wenigstens die französische Grenze, schoss es mir durch den Kopf. Zwei kleine Reparaturen später konnte ich dann wenigstens weiter fahren. Überall in der Stadt wuselte es jetzt schon von ähnlich bepackten Radfahrern. Dazu noch jede Menge andere Rennradfahrer. Irgendwie hatte die kleine Stadt schon etwas an sich. Es lag irgendwas Besonderes in der Luft. Man konnte die Atmosphäre förmlich spüren. Nach etwas suchen, fuhr ich dann hoch zur Kapelle. Nicht über die Muur. Ich übersah irgendwie den Einstieg. Oben angekommen, erst mal ein paar Fotos machen und herum schauen. Man hat schon einen tollen Ausblick von hier. Es dauerte natürlich nicht lange und weitere TCR Teilnehmer kamen hier an. Schnell fand man zusammen und das Fachsimpeln ging los. Dazu natürlich die ersten Geschichten von Wiederholungstätern. So lernte ich hier unter anderem Urs aus Bern, Stefano aus Cortina, Mathias aus Dänemark, Berk aus der Türkei und Oliver aus Österreich kennen.
Und was soll ich sagen, sie waren alle normal. Zumindest was ich als normal definiere.
Außenstehende hätten wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen. Für mich war es einfach herrlich unter Gleichgesinnten zu sein. So verbrachten wir den Nachmittag mit essen in der Stadt, herumrollern und vielen Geschichten. Wie im Fluge verging der Nachmittag. Eh die Geschäfte schlossen, fuhr ich dann nochmal zum einzigen Fahrradladen der Stadt. Mathias hatte letztes Jahr sechs Schläuche auf der Tour benötigt. Ich bekam so etwas wie leichte Panik, da ich nur zwei und auch nur ein Flickzeug dabei hatte. Also wenigstens noch einen kaufen und auch noch ein Flickzeug, für alle Fälle. Nach kurzem herum schauen wurde ich dort auch schon angesprochen, was ich denn benötige. Schnell kam man wieder ins Gespräch. Ich wäre mindestens der 50. TCR Teilnehmer an dem Tag. Mein Rad wurde von mehreren Mitarbeitern beäugt und die Auswahl der Teile für recht gut für dieses Vorhaben befunden. Dann wurde es noch gewogen, das hatte ich zu Hause vergessen. Ich glaube es waren ohne Tasche vorn 10kg. Was ziemlich gut ist. Damit kamen dann die richtigen Fragen zum TCR auf. Was ich für Ziele hätte und ob ich so was schon mal gemacht hätte bzw. was das längste bisher war und so weiter. Irgendein Mitarbeiter wurde dann bei dem Thema PBP hellhörig und im Nu war es mit der Anonymität vorbei. Er hätte meinen Bericht vom letzten Jahr gelesen. Jetzt gab es erst mal was zu trinken und ein paar Kekse aufs Haus. So verbrachte ich locker eine Stunde in dem Laden bis weit nach Schließzeit. Danach ging es dann noch kurz zum Lidl. Etwas Obst und Schokolade kaufen für den Abend. Auch hier waren einige TCR Teilnehmer zu Gange. Ohne erst das Rad anzuschließen, fragte ich nur kurz einen Polen, ob er noch etwas hier sei und kurz mit auf mein Rad aufpassen könne. Also schnell meine Sachen gekauft und dann noch etwas Smalltalk. Er würde hier mit seiner Freundin als Team starten und wäre gerade erst angekommen und würde jetzt noch etwas zum übernachten suchen. Ich traf die beiden dann zum Sonnenuntergang an der Kapelle wieder. Zum Übernachten hatten sie noch immer nichts gefunden. Es war abends so gegen neun. Da in meinem Zimmer locker zwanzig Mann auf dem Fußboden hätten schlafen können, bot ich Ihnen spontan an, dass sie bei mir mit nächtigen könnten, insofern der Vermieter kein Problem damit hat. Wir verabredeten uns später auf dem Marktplatz. Ich telefonierte wenig später mit der Vermieterin. Das Ergebnis dazu, es steht stellvertretend für die komplizierte, mit immer sinnloseren Regeln versehene westliche Welt. Das ginge nicht, weil ich nur eine Person gebucht hätte und die Versicherung das nicht decken würde. Es ging kein Weg rein, dies irgendwie noch zu ändern. Wie einfach das in anderen Teilen Europas gehandhabt wird, sollte ich nur wenige Tage später erfahren.
Ab um zehn sollte noch der Film „Inspired to Ride“ auf dem Marktplatz gezeigt werden. Hauptdarsteller: Mike Hall. Race Direktor und Erfinder des TCR, sowie Gewinner in Rekordzeit des World Cycle Race, Tour Divide und TransAm. Endlich lernte ich diesen Ultra-Distance-Experten persönlich kennen. Wir waren sofort auf einer Welle. Natürlich die Frage, was ich mir vorgenommen hätte. Am liebsten hätte er eine 500 gehört (für 500km fahren jeden Tag). Ich hatte zwar das Gefühl, das einiges ging, aber das schien mir dann doch zu illusorisch. Nun, ich bin nicht hier um das Feld von hinten zu kontrollieren und ich würde gerne den Führenden das Leben etwas schwer machen, so meine Antwort. Dann erklärte er mir noch, warum ich die Startnummer 26 bekommen hätte. Eigentlich wollte er mir die 42 (für 42 Stunden bei PBP ) geben. Da diese aber schon vergeben war, gab er mir die 26 für die Minuten. Irgendwie sollte die Zahl immer wieder kehren. War ich doch schon am 26.07. aufgebrochen und spätestens am 26.08. musste ich wieder zu Hause sein. Pünktlich zum Start des Filmes fing es dann aber auch zu regnen an. Jeder versuchte unter dem kleinen, aufgebauten Pavillon, wo die Technik stand, mit unter zukommen. So war die Vorführung leider kein richtiger Genuss. Auch traf ich hier das polnische Paar wieder. Enttäuscht musste ich Ihnen absagen. Das tat mir außerordentlich Leid, aber was sollte ich machen. Halb zwölf fuhr ich dann in strömendem Regen leicht genervt zurück zu meiner Pension. Bis hier hin war noch nicht viel Aufregung vor dem Rennen zu spüren bei mir. Das sollte sich am nächsten Morgen dann doch ändern.
Einschreiben und Startvorbereitung
Halb sieben war ich munter und konnte natürlich nicht noch einmal einschlafen. Na prima. Das Frühstück hatte ich erst auf 10 Uhr bestellt. Irgendwie schlug ich die Zeit tot mit Fotos machen und Packliste erstellen von meinen mitgenommen Dingen. Später versuchte ich es noch einmal mit schlafen. Aber entweder die Kinder fuhren draußen mit dem Traktor auf und ab oder der Darm drückte oder, oder, oder, … . Ich kam nicht mehr zur Ruhe. Etwas gereizt, machte ich mich schon um eins auf den Weg zum Einschreiben. Am Jägerhaus in Geerardsbergen angekommen, waren schon ziemlich viele Leute zu Gange. Zahlreiche voll bepackte Räder standen überall herum. Manche schraubten noch welche zusammen, da sie gerade erst angekommen waren. Andere versuchten irgendwo Schlaf zu finden. Und wieder andere warteten darauf, mit Ihrer Nummer aufgerufen zu werden, um das Einschreibeprozedere zu durchlaufen. So zog ich auch eine Nummer und setzte mich auf einen leeren Stuhl. Ein paar Minuten später kam Mathias und platzierte sich neben mich. Nach ein paar Minuten schaute er auf meine Schuhe und fragte mich, wie ich mit denen zufrieden wäre. Ich meinte, ich finde sie sehr bequem, da es die breite Ausführung ist und ich endlich genug Platz für meine Füße hätte. Darauf meinte er nur, er hätte sich heute Früh genau die selben gekauft – aus den gleichen Gründen. Wow, wir starten in ein paar Stunden zu einem 4000 km langen Rennen. Andere machen sich in die Hose, weil sie irgendwas um ein paar Millimeter verstellen vor einem 20km Rennen rund um die Mülltonne und er kauft sich noch neue Schuhe. Soll einer mal die Leute verstehen. So verging die Zeit und ich kam endlich an die Reihe. Kontrolle des Ausweises, Auslandskrankenschutz, Kaution für den Tracker. Unterschriften. Und dann endlich, Abholen des Capes.
Startnummer 26!
Irgendwie ist sie schon etwas Besonderes. Nun musste ich sie mir nur noch verdienen. Sogleich gab es natürlich die Frage, warum ich so eine niedrige Startnummer hätte. Naja, auch hier war mein Bericht vom letzten Jahr schon angekommen. Das sollte sich noch öfters wiederholen. Danach war wieder Freizeit angesagt. Ich glaube für 18:00 Uhr war das Briefing angesetzt. Einige schliefen in der Halle, einige schraubten an oder noch Ihre Räder zusammen und wieder andere füllten noch ihre Speicher mit Nahrung auf. Es war ein lustiges Treiben und eine tolle Atmosphäre. Ich hatte schon hier das Gefühl endlich bei „der Veranstaltung“ schlechthin angekommen zu sein. Es war eigentlich für mich klar, dass dies nicht mein letzter Start beim TCR sein wird, egal wie die Geschichte dieses Jahr ausgehen wird. Die ganze Veranstaltung ist absolut super organisiert. Es ist alles simpel und einfach gehalten. Man merkt einfach bei allem, das da jemand mit Erfahrung im Hintergrund arbeitet, der genau weiß, was die Leute brauchen, jedoch ohne dabei zu übertreiben. So kam es dann auch, dass ich dankend ablehnte, als jemand Flyer vom Race across Germany verteilte. Zum einen war die Strecke schon zu dem Zeitpunkt keine Herausforderung mehr und zum anderen ist für mich das TCR weit interessanter geworden als das RAAM.
Auch die unterschiedlichen Räder waren interessant bzw. mehr noch: wie sie bepackt waren. Da ist von bis absolut alles dabei. Auf der einen Seite nur minimales Gepäck in Form einer Rahmentasche wie bei Josh Ibbett und Kristof Allegaert. Auf der anderen Seite voll bepackte Räder mit riesiger Satteltasche, Lenkertasche und Rahmentasche. Dazu überall noch was daran gegurtet wie Schlafsack und Isomatte. Ich lernte hier Kristof Allegaert und Bernd Paul kennen. Beide sollten noch mehrfach meinen Weg am nächsten Tag kreuzen. So verging die Zeit bis zum Briefing ziemlich schnell. Dabei saß ich neben Paul Buckley. Auf den ersten Blick ein knurriger, älterer Engländer. Aber irgendwie passte der sympathische Typ genau hier rein. Dadurch war das Briefing eine recht kurzweilige Veranstaltung neben ihm. Auch er fragte irgendwann, weshalb er meinen Namen schon mal irgendwo gehört hatte. Unsere Wege sollten sich dann später in Slowenien wieder kreuzen. Das Briefing an sich, es wurden die wichtigen Dinge durchgegangen, kurz und knapp, klar definiert, so das keine Fragen offen blieben. Also das genaue Gegenteil vom RATA. Nach dem Briefing waren nochmals drei Stunden Zeit bis zum Start um 22:00 Uhr. Die Anspannung stieg langsam. So richtig ruhig irgendwo sitzen oder gar liegen, ging nicht mehr. Mit Urs fuhr ich ein letztes Mal zum Lidl. Etwas zu trinken kaufen. An der Kasse vor mir ein spanisches Bruderteam. Wir kamen ins Gespräch, ich weiß nicht mehr wieso, aber ich erzählte dem einen die Geschichte mit den neu gekauften Schuhen. Er musste selbst lachen und meinte dann sein Bruder hätte heute Vormittag auch noch neue Schuhe gekauft!
Start und erster Abschnitt
Geerardsbergen – Clermont-Ferrand
Ab halb zehn am Abend sollten wir uns auf dem Marktplatz einfinden. Es wurden noch das ein oder andere Foto gemacht und Interviews geführt. Ich lernte Francis Cade kennen. Er war derjenige, der hinter den meisten Videos beim TCR steckte. Was für ein Typ. Die Chemie zwischen uns stimmte von der ersten Sekunde an. Wir sollten uns noch oft sehen auf der Strecke und jedes Mal war es ein super lustiges und freudiges „Hallo“. Kurz vor 22 Uhr startete das TCR. Ein paar letzte Worte von Mike und einer Art Nachtwächter. Es war gefühlt die halbe Stadt auf dem Markt, um uns zu verabschieden. Es wurden die letzten zehn Sekunden bis um zehn rückwärts gezählt und dann ging es los. Endlich! Über den Markt hoch, dann im großen Bogen zurück in die Stadt und wieder auf den Markt. Alles langsam hinter einem Führungsfahrzeug. Am Markt wurde dann das Rennen freigegeben. Es ging jetzt recht flott zur Muur. Bei manchen hatte man das Gefühl, sie wollten das Rennen auf den ersten paar Metern schon entscheiden. Unbeeindruckt kettete ich das 32er und genoss die Auffahrt zur Kapelle. Auf beiden Seiten standen die Muur hoch die Leute mit Fackeln in der Hand. Das ging bis kurz hinter die Kapelle. Eine fantastische Verabschiedung. Ab jetzt war ich mehr oder weniger alleine unterwegs und nur noch auf mich gestellt. Jeder durfte seine Strecke zwischen den Checkpoints selbst bestimmen und so fuhren gefühlt auch alle unterschiedliche Wege aus der Stadt hinaus. Ich nahm die Hauptstraße in Richtung Süden. Am Montag vor dem Start hatte ich den 1. Teil noch einmal komplett geändert und jetzt nur noch große Hauptstraßen drin. Das erschien mir am sinnvollsten, weil es dort erfahrungsgemäß am besten rollt. Und so war es dann auch. Ich überholte in den ersten beiden Stunden jede Menge Mitstreiter, lag fast nur auf dem Lenkeraufsatz. Wären da nicht die schlechten Straßen und nervigen, intoleranten, belgischen Autofahrer gewesen. Da man auf den Radwegen einfach nicht mit dem Rennrad fahren konnte, machten einen permanent die Autofahrer laut hupend und mit sehr wenig Abstand beim Überholen darauf aufmerksam, dass man auf der Straße auch nicht erwünscht ist. Zum Glück ging das nur zwei Stunden so, dann war ich endlich in Frankreich. Es war interessant zu sehen, wie immer wieder einer vor oder hinter mir irgendwo anders abbog. Wenn ich auf Städte zu gefahren bin, dann immer mitten durch – den kürzesten Weg. Zuweilen auch gegen die Einbahnstraße. Aber nachts interessierte das niemanden. So langsam wurden die Abstände in denen man auf Fahrer traf immer größer. Irgendwann überholte ich Josh Ibbett (Vorjahressieger), so schnell wie er vor mir auftauchte, so schnell verschwand er auch wieder hinter mir. Als letzte Begegnung in dieser Nacht war Bernd Paul an der Reihe. Es dauerte schon ziemlich lange, bevor ich ihn eingeholt hatte. Wir fuhren dann auch bestimmt eine Stunde nebeneinander her. Es war schön in den frühen Morgenstunden etwas sympathische Unterhaltung zu haben. Auch unsere erste Begegnung mit einem Köter hatten wir hier. Irgendwo in einem französischem Dorf, es ging zu Glück leicht bergab, kam auf einmal ein laut bellender und riesiger Hund hinter uns her gerannt. Da wir ohnehin schon recht schnell unterwegs waren, mussten wir nur noch etwas mehr rein treten. So konnten wir ihn recht zügig abschütteln. Aber der Schreck saß erst mal. Waren wir zumindest jetzt wieder richtig munter. Erwartet hatten wir das – aber erst auf dem Balkan. Nach einer Weile trennten sich auch unsere Wege. So fuhr ich dem Sonnenaufgang und Reims entgegen. Langsam neigten sich meine Vorräte dem Ende zu. Hatte ich doch extra 3,5 Liter Wasser dabei. Da es angenehm frisch war, brauchte ich zum Glück nicht viel. Aber nachts in Frankreich etwas zu bekommen, ist nicht gerade einfach. Offene Tankstellen gab es nicht. Zum Glück hatte ich nach Reims eine vierspurige Straße gewählt. Fast pünktlich um sechs, nach etwas mehr als 200km, kam eine offene Tankstelle mit minimalem Sortiment für die Verpflegung. Es gab zumindest Wasser, Cola und etwas Süßkram. Gerade als ich fast fertig mit auffüllen und essen war, kam Stefano herein. Ich hatte ihn nachts schon zweimal kurz getroffen. Er war dort schon sehr flott unterwegs. Gemeinsam fuhren wir dann wieder los. Es war wieder eine sehr angenehme Begleitung. Leider wählten wir dann bei einer Stadtdurchfahrt wieder unterschiedliche Wege. Meiner muss ein wenig schneller gewesen sein, denn er erzählte mir später, dass er mich noch einmal in größerer Entfernung nach der Stadt gesehen hätte. Schade, ich wäre gerne noch etwas gemeinsam mit ihm gefahren. Aber wir sollten uns in ein paar Tagen ja noch einmal wieder sehen. So verging der Morgen. Irgendwann am Vormittag tauchte hinter mir ein Radfahrer recht zügig auf. Als er mein Hinterrad erreicht hatte, blieb er stehen und erleichterte sich erst mal. Um wenig später wieder auf mich aufzuschließen und zu überholen. Es war Kristof. Keine Ahnung, wo er auf einmal her kam. Es gab auch nur ein kurzes „Hallo“ und so langsam verschwand er auch wieder am Horizont. Keine Chance für mich, an Ihm dran zu bleiben. Zumindest nicht im Wohlfühltempo. Und schon gar nicht nach den paar Kilometern. Ich hatte es schon förmlich abgeschrieben, ihn vor Canakkale wieder zu sehen. Jedoch nach ein, zwei Stunden tauchte langsam vor mir wieder ein rotes Trikot auf. Das hatte ich so gar nicht erwartet. Ohne viel Mühe kam ich näher, machte kurz ein Foto von hinten und überlegte noch ob ich dasselbe Spielchen mit Ihm treibe wie er bei mir. Entschloss mich dann aber einfach ihn zu überholen da ich ohnehin in der nächsten Stadt anhalten und meine Vorräte auffüllen musste. So hatte ich aber wenigstens meinen Spaß. Einmal den Kristof Allegaert geschlachtet zu haben! Es sollte dann aber auch die letzte Begegnung mit ihm gewesen sein. Auf der Strecke. Er fuhr dann einen leicht anderen Weg. Als ich aus der Pause wieder heraus fuhr, überholte mich gerade Bernd. Wir rollten noch gemeinsam durch die Stadt, dann fuhr er etwas voraus und es dauerte nicht lange, bis ich ihn wieder überholte. Er machte leider überhaupt keinen guten Eindruck auf mich. Die Sonne macht ihm schon nach einem Tag extrem zu schaffen. Einen Tag später musste er dann aufgeben. Sehr schade, war er doch bis dahin sehr konkurrenzfähig! Ab hier wurde der Tag langsam richtig anstrengend. Über 30 Grad und starker Gegenwind. Teilweise war ich mit 15 km/h auf der Geraden unterwegs. Dazu stets welliges Gelände. Schön ist was anderes. Aber es half ja nichts. Stoisch weiter treten war angesagt. Egal wie schnell. Hauptsache weiter. Am späten Nachmittag machte ich Pause an einem Supermarkt in Nevers. So um die 500 km waren geschafft. Ich fühlte mich alles andere als gut. Eigentlich war ich einfach nur völlig breit. Wie schrieb ich in unserer Whatsapp-Gruppe:
Teilnehmergebühr 200 Pfund, Zugfahrt 70 €, nach 500 km völlig am Ende sein – einfach unbezahlbar!
Ich kaufte mir etwas frisches Obst, gekühlten Fruchtsaft und gesalzene Chips. Neben meinem Rad lungerte ich herum und genoss einfach nur den Schatten und das Sitzen. Ich verbrachte sicher über eine halbe Stunde dort. Die mit Abstand längste Pause bis dahin. Durch die zuweilen doch extremen Bedingungen verschob sich nun mein Zeitplan nach hinten. Hatte ich doch gehofft in 24 Stunden die 664 km bis zum ersten Kontrollpunkt zu schaffen. Gegen Abend lies dann zum Glück der Wind erst einmal nach. Irgendwann wurde dann aber aus dem Gegenwind ein Rückenwind. Erst mal nicht schlecht. Er wurde dann stärker und stärker und bald war auch klar warum. Schon länger sah man in der Ferne Wetterleuchten. Ich fuhr genau darauf zu. Daraus wurde dann ein richtig starkes Gewitter. Aber noch war es trocken. Es war dann so gegen zehn am Abend, wo es langsam nass und mir das Gewitter doch etwas unheimlich wurde. Mit etwas Regen hatte ich kein Problem, war es doch immer noch über 25° warm. Aber vom Blitz getroffen, in dem flachen Gelände, das musste ich nicht haben. Es war aber auch weit und breit keine Stadt in Sicht. Bis Clermont-Ferrand waren es noch rund 60 km. Zu weit weg. Dazwischen gab es nur kleine Dörfer. Irgendwann kam ich an einem Wohnhaus direkt an der Straße vorbei. Es hatte eine ziemlich große Überdachung. Darunter würde ich unmöglich nass werden. Es war nicht eingezäunt und gut zugänglich von der Straße aus. Jedoch keine Bank oder sonstiges, wo man sich hätte darauf hinlegen können. Nur nackter Beton. Ich fuhr erst vorbei, entschied dann aber spontan wieder umzukehren um mich dort schlafen zu legen. So schloss ich mein Rad an. Zog Ärmlinge, Beinlinge und die Regenjacke an und legte mich hin. So wie ich lag muss ich eingeschlafen sein. Ich bekam nichts mehr mit vom Verkehr und dem Gewitter. Um Mitternacht wachte ich wieder auf, weil mir kalt war. Zwei Stunden geschlafen, eigentlich wollte ich gar nicht schlafen in der Nacht. Das Gewitter war abgezogen und die Straße fing schon wieder an abzutrocknen. Effektiver hätte man die Zeit nicht nutzen können. Also ab aufs Rad und zu CP1 radeln. Diesen erreicht ich nach genau einem Tag, vier Stunden und 26 Minuten.
Mike lachte schon, als er die 26 in meine Brevetkarte einschrieb. Da der Kontrollpunkt in einem Hotel gelegen war, nutze ich die Chance für etwas frisch machen. Waschen – also mich und dann auch die Hose. Sowie eine frische Hose anziehen. Das fühlte sich gut an. Dann noch eine Cola trinken und etwas essen im Hotel. Mike zeigte mir zwischenzeitlich ein Video von dem Unwetter was dort herunter gegangen war. Ich konnte mir nur auf die Schulter klopfen und sagen: „Alles richtig gemacht“. Mit dem ersten Stempel im Heft ging es als Dritter wieder auf die Strecke. Nur Kristof und Bernd waren weiter gefahren. Sechs weitere Fahrer hatten im Hotel eingecheckt und schliefen.
Abschnitt 2
Clermont-Ferrand – Grindelwald
In der Finsterheit ging es durch Clermont-Ferrand. Erst in die falsche Richtung, aber dann fand ich den Weg – nach ein paar Metern schön den Berg hoch. Es dauerte nicht lange und das 32er wurde gekettet. Was war ich doch hier schon froh, das ich das Rad noch eine Woche zuvor umgebaut hatte. Meter um Meter ging es nach oben zum Col de Ceyssat. Ich hatte anfangs noch etwas die Hoffnung den Puy-de-Dome wenigstens schemenhaft im Morgengrauen zusehen, wenn wir schon nicht da hochfahren durften. Leider hing dort alles voller Wolken und es wurde immer nässer. Kein Regen, aber mitten in den Wolken bei gefühlt 100% Luftfeuchtigkeit. Ohne irgendwas groß zu sehen, kam ich oben an. Es gab eine Kontrollfrage, die beantwortet werden musste. Die Antwort auf die Frage nach den Reinigungszeiten stand auf einem Schild in der hintersten Ecke. Direkt davor parkte ein Wohnmobil, so dass ich es nicht gleich sehen konnte. Es dauerte nicht lange und darin ging das Licht an. Etwas verdutzt und auch etwas miesepetrig schaute da ein älterer Herr heraus, um zu sehen, was ich denn da mache. Wenn der gewusst hätte, wer da in den nächsten Stunden noch so kommt. Ich machte mein Foto von der Antwort und sah zu, dass ich wieder vom Berg komme. Es war doch recht ungemütlich da oben um die Zeit. So ging es wieder hinab nach Clermont-Ferrand und dann wieder hinaus in Richtung Nordosten. Der McDonalds am Stadtrand hatte leider noch geschlossen, als ich früh gegen sechs Uhr dort vorbei fuhr. Tankstellen hatten genauso zu oder waren nur zum Bezahlen mit Karte. Hoffentlich gibt es bald irgendwo etwas zu kaufen. Meine Vorräte gingen so langsam zur Neige und das Sonntag früh. Mit ordentlichem Rückenwind ging es jetzt voran. Derselbe Wind wie den Tag zuvor. Aber ich fuhr ja praktisch wieder zurück. Schön auf dem Lenker liegend rollte es mit 35 – 40 km/h dahin. Meter machen war angesagt. Es ging auf eher kleineren Straßen Richtung Schweiz. Die Berge der Alpen waren im Hintergrund schon zu sehen. Irgendwann in einem kleinen Dorf roch ich es schon von weitem. Der Duft frischer Backwaren. Endlich, ich war schon kurz vorm Verhungern (naja, ein paar Gels und Notriegel hatte ich schon noch). Eine kleine Bäckerei hatte doch tatsächlich zum Sonntag auf. Ich kaufte vier riesige Käsezungen und ein Schokocroissant. Eine Zunge verschwand sofort mit Heißhunger. Das Croissant, irgendwie kann ich auch nach einem Jahr noch nicht wieder so richtig Appetit daran finden, würgte ich eher hinab. Gut gestärkt ging es jetzt also weiter. Ein recht unspektakulärer Tag. Es war etwas bewölkt, das Gelände permanent wellig und ich hatte die ganze Zeit Rückenwind. Also genau meine Bedingungen. Nach dem Mittag wurden dann allerdings die Augen recht schwer. Hatte ich doch in den vergangenen 54 Stunden gerade mal 2 Stunden geschlafen. Anderseits wollte ich aber auch den Rückenwind so gut es ging nutzen. Irgendwann bin ich an einer alten Bahnstrecke vorbei gekommen. Da standen noch ein Bahnhofsgebäude und ein Wartehäuschen mit ein paar Bänken darin. Super, schön im Schatten, nicht zu warm und keine Leute weit und breit zu sehen.
Also schloss ich mein Rad an, stellte mir den Wecker auf vier Stunden später und legte mich rücklings auf eine Bank. Ich muss ziemlich schnell eingeschlafen sein. Aufgewacht bin ich dann auch erst vom Wecker. Jetzt wieder hoch und in die Gänge kommen, das ist richtig hart gewesen. Erst mal hinsetzen. Was essen und trinken und dabei versuchen wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Eh ich alles zusammen gepackt hatte und wieder los fuhr, verging bestimmt eine halbe Stunde. Alles tat weh und lief schwergängig. Mühselig drückte ich die Kurbel Umdrehung für Umdrehung herum. Das dauerte gefühlt eine kleine Ewigkeit bis es schmerzfrei wieder rund lief. Jetzt musste ich nur noch irgendwo etwas Verpflegung für die Nacht finden. Am liebsten wäre mir ein McDonalds gewesen. Bisher waren die aber zu oder nicht an der Strecke. Diesmal sollte ich mehr Glück haben. Es muss gegen neun Uhr abends gewesen sein, als er in einer Kleinstadt auftauchte. Nur, was war hier los? Der Parkplatz voll, am McDrive eine riesige Schlange, haben die hier kein Zuhause? Ich ging kurz zur Toilette und sah schon die Massen an Leuten darin, die auf Ihr Essen warteten. Ich wollte nur fix zweimal Pommes und acht Hamburger. Ich fragte bei der Bestelltante wie lange ich wohl darauf warten müsse. Circa eine dreiviertel Stunde. Das war wesentlich zu lange. Ich konnte sie dann noch dazu überreden mir eine große Portion Pommes und eine große Cola gleich zu geben. Mehr war nicht drin. Leicht frustriert schlang ich die Pommes mit der Cola runter. Irgendwann fand ich noch eine Tankstelle und füllte die Reserven wieder mit Süßem auf. Da hatte ich zwar keinen Appetit drauf, aber es gab Energie. In der Nacht ging es dann in die Schweiz. Kurz nach der Grenze endlich ein Brunnen, wie üblich dort. Die Flaschen waren schon eine Weile leer und ich hatte schon darauf spekuliert. Schnell aufgefüllt und weiter. Bern war die nächste große Stadt auf dem Weg. Noch im Finsteren fuhr ich in die Stadt hinein. Irgendwie kreuz und quer, einfach stur dem Track nach. Ich hatte gehofft wenigstens hier eine Tankstelle oder McDonalds zu finden, der auf hat. Die Stadt war jedoch wie ausgestorben. Kein Zeichen von Leben in ihr. Etwas zu Essen zu bekommen – Fehlanzeige. Wieder einmal fuhr ich frustriert weiter. Gegen halb sieben kam ich kurz vor Thun an einer Tankstelle vorbei. Sie war erleuchtet, jedoch offen erst ab sieben Uhr. Aber es waren schon zwei Bedienstete zu Gange darin. Ich klopfte freundlich an und hatte eigentlich mehrfach Glück. Nicht nur das man mir öffnete und auch was verkaufen wollte, nein es gab auch schon frisch belegte Baguettes. Zur Vorsicht und vielleicht auch aus Hunger kaufte ich gleich vier Stück. Eines verschwand sofort in mir. Es ging runter wie Öl. Dazu noch ein Muffin und eine Schokomilch. So ging es jetzt auf Grindelwald zum Checkpunkt zwei zu. Stetig den Berg hoch. Nur gesehen hat man nichts. Es waren nur die Stümpfe der Berge da, der Rest war im Nebel. Sehr schade. Das Panorama hätte ich gerne mal von Grindelwald aus gesehen. Als ich zum Hotel mit der Stempelstelle kam, ist mir schon eine Frau entgegen gekommen und wies mir den Weg. Ich stellte mein Rad ab und wurde hinein begleitet. Ich war an Position zwei. Drei Stunden hinter Kristof. Mike gab mir den Stempel.
Ich packte mir meine Sachen etwas um und aß ein weiteres Baguette. Zwischenzeitlich unterhielt ich mich mit der Frau (ich weiß nicht mehr, wie sie hieß) etwas. Erst hier bemerkte ich ihren Dialekt, eindeutig sächsisch. Nach 60 Stunden auf dem Rad mit insgesamt 6 Stunden Schlaf ist der Geist nicht mehr so schnell. Ich fragte Sie wo sie den herkomme, natürlich aus Dresden. Haha, der fährt man 1200 km durch Europa in die Schweiz und dann wird die Kontrollstelle von jemandem aus der Heimat betreut! Aber nicht nur das, sie ist die Arbeitskollegin von Ecki, unserem Rennleiter bei der Elbspitze und kannte natürlich schon ein paar Details von mir.
Abschnitt 3
Grindelwald – Alleghe
Nach dem kleinen, netten Plausch ging es wieder hinaus. Mike machte noch ein paar Fotos und ich startete. Ab jetzt sind richtige Berge dran. Der Parcours von CP2 hatte es in sich. 73 km und 3500 Hm waren angesagt. Es wäre ein würdiges Finish für die Elbspitze. Hier fuhr ich das jetzt nach einmal PBP, nach 1200 km. Zuerst die Große Scheidegg. Es fing langsam an zu regnen. Je höher ich kam, desto mehr wurde es. Das einzig schöne an ihr ist, das keine Autos dort fahren dürfen. Nur der Postbus. Und den hört man schon kilometerweit, wenn er vor den Kurven seine Melodie abspielt. Gerade passend an einer Ausweichstelle kam mir einer entgegen und auch einer von unten überholte mich dort. So fuhr ich sehr einsam ohne jegliche Aussicht da hoch und dann auch auf der anderen Seite wieder hinunter. Ich war hier vor Jahren schon mal im trockenen runter gefahren. Das ging ja noch. Aber jetzt im Nassen war es einfach nur ein Alptraum. Die Straße ein einziger Flickenteppich, schmal, steil und zahlreiche Kurven. Man stand also praktisch die ganze Zeit auf der Bremse. Eigentlich ist eine Abfahrt ja immer etwas zum Ausruhen und genießen. Hier kommt man unten mindestens genauso fertig an, wie man oben schon los ist. Im Tal fuhr ich nahtlos weiter in Richtung Grimselpass. Der Regen lies zum Glück nach und hörte irgendwann ganz auf. Jedoch war diese Auffahrt irgendwie extrem kräftezehrend. Sie sollte in meine persönlich Chronik als die Auffahrt mit den meisten Stopps eingehen. Ich hielt jeweils zwei Mal an, um mich erst aus- und dann wieder anzuziehen. Einmal brauchte ich ein Gel aus dem Rucksackbeutel. Einmal musste ich austreten. Ich weiß nicht mehr was noch so war, aber es müssen insgesamt so um die zehn Mal gewesen sein. Oben angekommen, war ich dann auch entsprechend fertig oder wie sagt man im Englischen so schön: exhaustet! Ich finde, das passte für dort extrem gut. Schon fast mit zittrigen Händen kaufte ich mir die teuerste Cola in meinem Leben für 5 Schweizer Franken. Egal, ich brauchte sie hier dringend! Die Cola und noch einen Schokoriegel rein und weiter ging es. Zur Furka. Diese ist eigentlich schon fast etwas gemein. Man fährt am Grimsel oben los, sieht bis wohin es hinab geht und auch auf der anderen Seite schon bis wo es wieder hinauf geht. Es schien jetzt wieder die Sonne und es war einfach ein Hammerpanorama! Die Abfahrt vom Grimsel war in Minutenschnelle erledigt und schon befand ich mich in der Auffahrt. Hier war eines der Begleitfahrzeuge unterwegs und machte Aufnahmen. Das war eine angenehme Abwechslung und lenkte auch etwas ab. Dazu noch der Ausblick und die Sonne. Im Gegensatz zum Grimsel rollte die Furka jetzt fast von alleine. Ohne einmal angehalten zu haben, zog ich hier durch. Nur die Abfahrt nach Andermatt, die war alles andere als schön. Oben bei den Kehren lief das noch ziemlich gut. Dann macht mir aber der Gegenwind extrem zu schaffen. Mit 25km/h und vollem Einsatz musste ich treten. Hörte ich auf mit treten, blieb ich stehen, so sehr zog es dort das Tal hoch. So quälte ich mich bis Andermatt. Es war Nachmittag gegen halb vier, als ich dort ankam. Am liebsten hätte ich mich hier irgendwo ins Gras gelegt und ein paar Stunden geschlafen. Das wäre das sinnvollste gewesen. Leider sollte es Bauarbeiten am Oberalppass geben, der ab zehn Uhr abends dann gesperrt wird. Ich wusste nicht wie weit es noch bis zu der Baustelle war, geschweige denn wie lange ich dafür brauchen würde. Ich hatte Bedenken wenn ich mich jetzt hier hinlege, das ich es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde bis zum Schließen. So entschied ich mich für eine Supermarktpause und weiter fahren. Der Oberalppass lief dann auch ziemlich gut hoch. Ab und an sieht man zur Abwechslung mal die Eisenbahn und Panorama gibt es sowieso. Auf der Abfahrt dann dasselbe wie an der Furka. Oben lief es super. Aber je weiter runter man kam, umso stärker wurde der Gegenwind. Dazu machte sich immer mehr die Müdigkeit bemerkbar. Gegen fünf, ich konnte kaum mehr die Augen aufhalten, hielt ich an einer Wiese an. Legte mich einfach ins Gras mit Helm und allem wie ich war und schlief ein. So circa eine Stunde später wachte ich wieder auf, weil mir kalt wurde. Die Sonne war hinter den Bergen verschwunden. Schade eigentlich. Zwei Stunden mehr wären super gewesen. So quälte ich mich wieder auf die Straße zurück und fuhr weiter. Diesmal sollte ich aber relativ schnell wieder in Tritt kommen. Mein Plan sah jetzt vor bis irgendwie um Mitternacht weiter zu fahren und dann in einem EC-Hotel ein paar Stunden zu schlafen, da es draußen zu kalt werden würde. Die Schweizer hatten an diesem Tag Ihren Nationalfeiertag. Entsprechend war überall etwas los und auch viele Leute unterwegs. Das war eigentlich sehr angenehm da ich immer wieder angefeuert wurde. Um zehn war dann großes Feuerwerk angesagt. Überall krachte es und Raketen flogen herum. So kam ich nach Chur. Dort waren noch Maßen an Leute unterwegs. Da hätte ich wohl keine ruhige Bank gefunden. Also ging es wieder hinaus in die Finsternis Richtung Landquart und dann weiter langsam ansteigend Richtung Davos. Es ging auf Mitternacht zu. Überall wo ich eine Bank sah, war der Geldautomat draußen. Prima! Ansonsten war auch alles finster. Um die Zeit noch einen offenen Gasthof finden, ist auch unmöglich. Kurz nach Mitternacht kam ich in ein uriges Schweizer Dorf. Ich fuhr an einer Kneipe vorbei, wo noch etwa zehn Leute draußen an einem Tisch saßen. Ich dachte schon hier, ob ich nicht anhalten und nach etwas zum Schlafen fragen sollte. Aber da man doch immer etwas schüchtern bei so was ist, fuhr ich erst mal daran vorbei. Im Dorf waren wieder zwei Banken, aber auch dort war alles geschlossen. Am Haltepunkt der Bahn gab es auch nur noch eine Überdachung. Irgendwie war ich langsam ziemlich müde und lustlos. Ich entschied zurück zu der Kneipe zu fahren und zu fragen, ob man mir nicht helfen könnte. So hielt ich vor dem Tisch an. Alle schauten mich an, als wäre ich ein kleines grünes Männchen vom Mond, was sicher auch verständlich ist. Ich brachte mein Anliegen hervor und es war für ein paar Sekunden gänzliche Ruhe. Dann fingen drei oder vier Leute an die Hand zu heben und sagten ich könnte bei Ihnen schlafen heute Nacht. Es ging fast eine Diskussion los, mit wem ich denn nun am besten nach Hause gehe. Man wollte dann natürlich noch wissen, wie, was, wohin und so weiter über das Rennen. Zehn Minuten später ging ich dann mit einem Paar vielleicht hundert Meter die Straße hoch zu deren Haus. Ein uriges, altes, schweizer Haus. Sie zeigten mir mein Bett für die Nacht, ich bekam ein Handtuch und konnte duschen und man bot mir noch zu Essen und Trinken an. Das ganze ohne auch nur einen einzigen Franken dafür zu verlangen. Man meinte nur es wäre Ihre Pflicht als Schweizer mir zu helfen. Ansonsten blieb alles in dem Haus mehr oder weniger offen, auch der Laptop blieb auf dem Tisch stehen. Auch heute noch kann ich kaum glauben, dass so etwas möglich ist. Vor allem auch in der Schweiz. Hatte ich bisher den Glauben an die Menschheit verloren, hier habe ich wieder Hoffnung geschöpft!!! Ich habe in der Nacht wunderschön fünf Stunden geschlafen. Wie ausgemacht schlich ich mich leise aus dem Haus und machte mich weiter auf den Weg nach Davos. So erholsam die Nacht war, umso anstrengender war der Vormittag bis Davos. Als erstes hatte ich das Gefühl ein rohes Schnitzel auf dem Sattel zu haben. Das verging aber nach einer Weile. Dann fingen an beiden Händen die Finger an einzuschlafen. Das ging leider nicht weg, sondern wurde immer schlimmer. Das einzige was heute anders war, war das Trikot. Ich hatte mein zweites angezogen. Dies schien aber an den Armen etwas zu eng zu sein. Zu Hause hatte ich noch nie solche Probleme damit. Offensichtlich hatte ich leichte Wassereinlagerungen oder die Arme waren so unmerklich ganz leicht angeschwollen. Also wechselte ich das Trikot wieder. Die Ärmlinge schob ich auch nur noch bis zum Ellenbogen und schon war alles gut. An einem kleinen Supermarkt machte ich noch eine kleine Frühstückspause mit frischen Backwaren. Aber auch danach sollte ich nicht recht in Tritt kommen. Es ging sehr zäh voran. Der Puls dümpelte bei 110 – 120 herum. Dadurch war mir auch noch fürchterlich kalt in dem Tal. Ich hatte aber auch schon meinen zweiten Unterzieher und die Regenjacke an. Mehr hatte ich nicht. An einem Sportgeschäft hielt ich kurz an um zu schauen ob man nicht einen Pullover im Angebot hatte. Die Preise waren aber jenseits von Gut und Böse. Da friere ich lieber, als das auszugeben. Am Ortseingang in Davos ging es dann gleich zum Flüelapass. Vorm Anstieg gab es noch eine Bushaltestelle. Da hatte ich schon vor drei Jahren mal Pause gemacht. So auch jetzt. Die Sonne schien wunderschön hinein und wärmte mich auf. Etwas essen und trinken und dann weiter. Der Flüela lief dann gefühlt wie von alleine. Was ich bis Davos als Gegenwind hatte kam jetzt von hinten. Auch der Puls ging jetzt wieder merklich höher. Es ist doch immer wieder schön wenn nach einem Tief auch wieder eine Hochphase kommt. So war ich ruckzuck oben und es ging die sehr angenehme Abfahrt wieder hinunter und weiter nach Zernez. Dort war wieder eine Pause fällig. Als ich zu dem einzigen Supermarkt im Ort einbog sah ich schon ein ähnlich bepacktes Rad wie meines. Das konnte nur ein TCR Teilnehmer sein. So wie ich mein Rad abstellte. kam auch schon Carlos Mazon aus der Türe.
Beide Hände voll mit Essen und Trinken. Ein bisschen wie auf der Flucht sah das aus. Ich holte auch schnell ein paar Dinge und dann machten wir gemeinsam Mittagspause auf einer Bank gegenüber. Es war schön mal wieder einen Teilnehmer zu treffen. Das letzte Mal war vor zwei Tagen mit Bernd gewesen. Carlos fuhr dann ein paar Minuten vor mir los. Vor dem Anstieg zum Ofenpass gab es eine öffentliche Toilette. Prima, hier konnte ich noch schnell meine andere Hose auswaschen. Als ich gerade wieder losgefahren war, holte mich Neil Phillips ein. Wir fuhren ein Stück gemeinsam, bis er mir doch etwas zu schnell war und so ließ ich ihn ziehen. Die Auffahrt wie auch die Abfahrt ins Vinschgau war recht unspektakulär. Dort fuhr ich dann über Prad auf die Hauptstraße in Richtung Meran. Es gibt zwar einen Radweg, aber der ist zuweilen doch ziemlich verwinkelt und hat ab und an auch mal nur Schotter. An einer roten Baustellenampel holte ich Neil wieder ein. Ab hier fuhren wir eine ganze lange Weile gemeinsam weiter. Bis irgendwann einmal ein Tunnel kam. Das Fahrrad verboten Schild steht dort leider erst kurz vor dem Tunnel und nicht an der letzten Kreuzung davor. Links war eine Apfelplantage und rechts ein Gewerbegebiet. Umkehren wollten wir beide nicht. Neil entschied sich für links, ich für rechts. So schulterte jeder sein Rad und versuchte durch den Straßengraben zu kommen. Ich fuhr durch das Gewerbegebiet um den Tunnel herum und wieder auf die Hauptstraße zurück. Viel Zeit konnte ich da nicht eingebüßt haben. Von Neil war aber weit und breit nichts zu sehen. In Latsch musste ich dann noch einmal die Hauptstraße verlassen. Meine Sitzcreme war schon fast alle. Hier gab es einen Händler der Assos führte. Ich kaufte gleich zwei davon um nicht irgendwann ohne da zu stehen. Ich hatte es wohl bisher vielleicht auch etwas gut gemeint damit. Jedoch hatte ich auch keine Wundstellen an meinem Allerwertesten, was enorm wichtig war. Kurz vor Meran musste ich dann wieder auf den Radweg bzw. Nebenstraße, da die Hauptstraße für Fahrräder gesperrt ist. Unten angekommen machte ich wieder eine Supermarktpause. Drinnen war es sehr angenehm mit der Klimaanlage. Wieder draußen mit dem Einkauf war schon ziemlich anstrengend bei locker über 30 Grad hier. Dann ging es weiter. Ab hier auf dem Etschtalradweg bis hinter Bozen. Der Wind stand gut und so ging es meist mit deutlich über 30 km/h dahin. Als ich den Radweg in Richtung Dolomiten verließ, ging es gleich ordentlich den Berg hinauf. Eigentlich wollte ich an dem Abend noch bis Alleghe zum nächsten Checkpoint, der noch drei Stunden entfernt gewesen wäre. Es war bereits abends um zehn. Es machten sich so langsam Zweifel auf, ob das so sein musste oder nicht. Irgendwann kam dann ein Gasthof. Die Entscheidung war schnell gefällt. Hier bleiben! Es dauerte zwar ewig, eh man mir endlich den Schlüssel geben konnte. Dafür bestellte ich das Schnitzel noch bevor ich auf das Zimmer ging. Ich brachte meine Sachen hoch und ging gleich wieder runter. Im Nu brachte man mir auch schon mein Essen und die Cola. Als Nachtisch noch ein Eis und der Tag war perfekt. Jetzt noch schnell duschen und so lag ich um elf im Bett. Ich hatte mir auf halb vier den Wecker gestellt. Leicht fällt einem das nicht, das kuschelige, warme Bett zu verlassen. Aber deshalb war ich nicht hier. Schon beim Aufstehen merkte ich aber das etwas nicht stimmte. Als ich in den Spiegel sah habe ich mich fast selbst nicht erkannt. Ich sah aus wie ein Boxer. Nach 12 Runden hartem Kampf! Auch das Atmen viel schwer. Die Atemwege waren genauso angeschwollen. Auf irgendwas war ich wohl allergisch und habe jede Menge davon den Tag zuvor eingeatmet. Nichts wie hoch auf den Berg, war mein Gedanke. Dort gibt es recht wenig Pollen. Um vier saß ich wieder auf dem Rad und quälte mich den Berg hoch. Röchelnd, aber ich bekam noch ausreichend Luft. Je weiter es den Pellegrino Pass hoch ging, umso besser wurde das. Dafür machte sich ein anderes, körperliches Problem breit. Am unteren Ende des rechten Brustkorbes bekam ich erst etwas Druck und später dann Schmerzen beim tief einatmen. Kurz bevor ich oben ankam, holte mich dann Neil wieder ein. Gemeinsam fuhren und genossen wir die wundervolle Natur da oben. Für mich war es das erste Mal in den Dolomiten und das war schon wow, obwohl es nur der Anfang war. Gemeinsam fuhren wir dann noch wieder runter zum CP3. Wie immer wurden wir schon erwartet. Es war gerade noch Mathias da, der sich gerade wieder auf den Weg machte. So sah man sich wieder. Mit Neil frühstückte ich dann noch das Buffet leer. Irgendwie passten wir zwar gar nicht da rein. Wir zwei stinkigen und dreckigen Radfahrer zwischen all den Gästen in einem Hotel was einen etwas gehobeneren Eindruck machte. Aber für einen sehr geringen Betrag konnte man dazu einfach nicht nein sagen. Vielleicht hatte ich auch hier etwas zu viel gegessen, ich weiß es nicht. Kurz bevor ich los fuhr, bekam ich noch eine Nachricht von Stefano. Er hätte aufgeben müssen und wäre jetzt zurück in Cortina. Falls ich irgendwie was bräuchte, soll ich ihm Bescheid geben. Meine Strecke ging zwar durch Cortina, aber mein Plan sah eigentlich vor an dem Tag irgendwie bis Kroatien weiter zu fahren. Und alles was ich brauchte, hatte ich ja dabei.
Abschnitt 4
Alleghe – Zabljak
So dankte ich Stefano und fuhr los. Zu einem, meiner Meinung nach, eindrucksvollsten Pässe der Alpen, dem Passo di Giau. Je höher man dort kommt, umso mehr wow! Von dem Ausblick von ganz oben ganz zu schweigen.
Leider ging es mit meinem Problemchen im Bauch ähnlich, je höher, desto mehr Aua. Langsam machte mir das ernsthaft Sorgen. Vor allem ging es ja nach dem Pass in eine für mich völlig neue, unbekannte Gegend Europas, wo eben auch die medizinische Versorgung nicht wie zu Hause ist. Und das Krankenhaus von Sarajevo von innen kennen lernen, darauf konnte ich auch verzichten. Die Geschichten dazu haben mir schon gereicht. So entschied ich, als ich oben ankam, dass ich so nicht weiter fahren werde. Ich konnte ja 48h ohne Trackerbewegung an einem Ort bleiben. Erst danach braucht man wieder ein medizinisches Attest, damit man weiter fahren kann. So schrieb ich wieder Stefano an, ob er mir etwas zum Übernachten empfehlen könne. Kurz vor Cortina traf ich mich mit Ihm und gemeinsam rollten wir den Rest des Berges runter bis zu einem kleinen Hotel mit Pizzeria im Haus. Ich checkte ein und dann wollte ich noch eine Pizza essen gehen. Die Auffahrt zum Passo di Giau hatte hungrig gemacht. Ich war mir zwar nicht sicher, ob das meinem Gesundheitszustand so zuträglich ist, aber hungrig bleiben wollte ich auch nicht. So aßen wir gemeinsam zum Mittag, seit vier Tagen das erste Mal in Ruhe und nicht alleine. Die Rechnung davon übernahm Stefano. Keine Chance mein Essen selbst zu bezahlen. Ich wäre hier schließlich in seiner Heimat bekam ich zur Antwort. Er hätte noch sonst was für mich dort organisiert, wenn ich es den gebraucht hätte. Gefühlt aller zwei Stunden fragte er nach, wie es mir geht und ob ich etwas brauche. Den Nachmittag verbrachte ich nur im Bett. Schlaf nachholen war angesagt. Am Abend kam er diesmal in Bekleidung seiner Frau vorbei. Diesmal aß ich aber nur eine Suppe und nur ein paar Stücke Pizza. Es war ein sehr netter Abend mit den beiden und eine tolle Abwechslung von den vergangenen Tagen auf dem Rad. Natürlich übernahm Stefano wieder die Rechnung. Ob ich wollte oder nicht. Wir verabredeten am nächsten Tag zu telefonieren, um zu sehen wie es weiter geht. Ich war halbwegs zuversichtlich, dass es mir hoffentlich besser geht. Aber leider war das am nächsten Morgen nicht der Fall. Die Schmerzen fühlten sich stärker an, als am Tag zuvor. Es war nicht daran zu denken weiter fahren zu können. Die Entscheidung noch eine Nacht zu bleiben, war ziemlich leicht getroffen. Ich verbrachte den Tag zumeist im Bett und ging einmal barfuß in die Stadt. Aber selbst bei jedem Auftreten schmerzte da was. Ja, vielleicht hätte ich den Tag zu vor schon zum Arzt gehen sollen, vielleicht hätte ich auch einfach nur etwas gemäßigter weiter fahren sollen. Zum Nachmittag war ich über die Situation ziemlich frustriert. Es hatten mir viele geschrieben, was ich machen könnte bei Problemen mit Magen und Darm. Aber alles half nichts.
Aufgabe?
So langsam fing ich an mich von dem Gedanken an eine Weiterfahrt zu verabschieden. Am Abend entschied ich dann des es so nicht geht und sollte nicht noch ein Wunder über Nacht geschehen, so würde ich am nächsten Tag nach Hause fahren. Ich suchte Zugverbindungen heraus und packte meine Sachen. Stefano wolle mich am nächsten Morgen abholen und nach Österreich zum Bahnhof bringen. Alles war vorbereitet für die Heimfahrt.
Schon in der Nacht merkte ich im Unterbewusstsein, dass ich wieder schmerzfrei auf dem Bauch schlafen kann. Früh wachte ich auf und fühlte…. Nichts! Ich drehte und reckte und streckte mich, atmete immer wieder tief ein. Aber nichts. Der Schmerz war weg. Ein winzig kleines Druckgefühl war noch da. Aber ansonsten Nichts. Draußen regnete es in Strömen. Mit Stefano hatte ich ausgemacht, dass er mich nach dem Frühstück irgendwann abholt. Die Gedanken begannen also zu kreisen. Der Kopf war komplett auf Heimfahrt eingestellt. Dazu der Regen. Und auch etwas Unbehagen vor dem, was auf der Strecke jetzt womöglich kommen wird. Aber ich musste eine Entscheidung treffen. Ziemlich bald. Ich ging frühstücken und schaute kurz zur Türe hinaus. Im Neoprenanzug wäre das ganz angenehm gewesen. Ich aß in mehr oder weniger Ruhe. Wägte das eine gegen das andere ab. Ab Ende fragte ich mich, warum bist du hier? Alles ist genauso für eine Weiterfahrt organisiert. Du hast die Zeit dafür und keiner widerspricht dir. Probiere es, es gibt auch Mittel und Wege vom Balkan wieder nach Hause zu kommen, wenn es nicht mehr geht.
Ich sagte Stefano noch ab, sattelte mein Rad und machte mich hinaus in den Regen. Es war zum Glück nicht kalt. Aber schön ist doch was anderes. Es müssen so um die drei Stunden gewesen sein, die ich im Regen den Berg runter fuhr. Dann hörte es zum Glück auf und es trocknete ab. An einem Supermarkt pünktlich um eins hielt ich das erste Mal an. Nachschub holen. Mein Portemonnaie, Pass und Handy in einem Zipbeutel waren in der wasserdichten Lenkertasche untergebracht. Diese stellte sich auch als wasserdicht heraus. Rein kommt das Wasser, raus kommt es nicht! So hatte ich einige Zentimeter Wasserstand angesammelt. Zum Glück war in dem Zipbeutel auch noch ein richtig schönes Loch drin. Als ich das Handy samt Beutel heraus zog schaltete es irgendwie den Bildschirm kurz an und wurde dann von rechts nach links schwarz. Es hatte seinen letzten Atemzug gemacht. Ach du Sch… dachte ich nur. Das Handy war als Backupnavigation gedacht, für Notfälle und natürlich zum Fotos machen. Wobei der erste Punkt mir am meisten Sorgen machte. Was, wenn irgendwo der Garmin auf dem Balkan nicht mehr will. Zumindest CP4 findet man ohne Navi ganz sicher sehr schwer. Danach ist es eigentlich ganz einfach. Immer nach Süden bis zum Meer, dann links abbiegen und immer am Meer entlang, bis man irgendwann im türkischen zur Fähre kommt. Alles keine schöne Vorstellung, aber es half ja nichts. Muss es eben so gehen. Zu allem Überfluss hatte jetzt nach fünf Minuten fluchen der Supermarkt schon zur Mittagspause geschlossen. Wenigstens hier hatte ich Glück. Der freundliche Mitarbeiter schloss mir nochmal auf und ich konnte mir schnell Nachschub besorgen. Ab jetzt ging es nur noch flach dahin. Schön auf breiten Hauptstraßen mit viel Verkehr. Die Sonne kam langsam heraus und es wurde warm. Am späten Nachmittag überquerte ich die Grenze nach Slowenien, machte auch dort einen kurzen Boxenstopp und fuhr weiter Richtung Kroatien.
Der Balkan
Das erste Land in dem ich noch nie war. Als es auf die Grenze zu ging, fielen als erstes die vielen Wechselstuben auf. Später dann ein ewig langer Stau. Ich bin bestimmt 5 km an stehenden Autos vorbei gefahren, eh ich an die Grenze kam. Hier ist mir das erste Mal bewusst geworden, wie schön das ohne Grenzen innerhalb der EU mittlerweile ist. Von der Grenze aus ging es dann nach Rijeka. Auf dem Weg dahin zog ein wunderschönes Unwetter auf. Es blitzte und krachte mal wieder was das Zeug hielt. Als es anfing zu regnen, schaffte ich es gerade noch so in ein Wartehäuschen. Ich habe vielleicht eine viertel Stunde dort ausgeruht. Dann war alles vorbei. Als ich dann nach kurzer Weiterfahrt nach Rijeka kam, gab es das erste Mal Kriegsspuren zu sehen. Riesige Einschusslöcher in mehreren Plattenbauten. In Rijeka war es erst gegen acht Uhr abends. Zu zeitig, um hier schon irgendwo was zum Schlafen zu suchen. An der Küste entlang sollte es ja genügend Übernachtungsmöglichkeiten geben, so hatte ich gedacht. Ich fuhr also in die Nacht hinein und so ab um zehn machte ich mir so langsam Sorgen, ob ich hier wohl etwas finde. Entlang der Hauptstraße gab es nämlich nichts und erst irgendwohin abbiegen wollte ich auch nicht. Irgendwann nach um elf kam ich durch ein kleines Dorf. Es ging den Berg hinauf und oben war eine Kneipe zu sehen. Mal nachfragen kostet ja nichts. Leider gab es keine Möglichkeit mir dort etwas zum Schlafen anzubieten. Allerdings hatte ein Gast mein Gespräch mit der Kellnerin mitgehört und kam auf mich zu. Er könne mir einen Raum in seiner Wohnung vermieten – für eine Nacht, wenn ich wöllte. Wir einigten uns auf 20€ und schon fuhren wir 200 Meter den Berg hinab zu seiner Wohnung. Er zeigte mir Bett und Dusche und gab mir ein frisches Handtuch. Danach fuhr er wieder zur Kneipe zum Saufen. Ich ging duschen und schlafen. Wie mit ihm ausgemacht, weckte er mich dann früh um vier. Mein Wecker, das Handy, funktionierte ja nicht mehr und irgendwie sollte ich auch auf der weiteren verbliebenen Strecke nirgends einen kaufen können. Von draußen kam derweil schon ein sehr, sehr starkes Windgeräusch. Ich hoffte nur der Wind komme von Norden. Aber weit gefehlt, er kam dann direkt von vorne aus Süden. Ich fuhr vielleicht eine anderthalbe Stunde bis die Straße an eine exponierte Stelle führte. Zweimal blies es mich fast vom Rad. Nur mit viel Glück konnte ich das Rad noch abfangen. Jedoch wurde mir das ganze etwas zu gefährlich, da auch langsam der Verkehr zunahm. Ich entschied ein paar Meter zurück ins letzte Dorf zu fahren, weil es für mich hier nicht weiterging. Teilweise waren die Böen so stark das ich mich nur auf allen Vieren halten und fortbewegen konnte. Im Dorf machte ich erst mal Frühstück. Es gab einen Dorfladen mit frischen Backwaren. Zum Glück konnte ich hier auch mit Karte bezahlen. Mit Euro in Kroatien bezahlen – keine Chance. Als ich dann da saß, kamen noch zwei weitere TCR-Fahrer vorbei und versuchten jeweils Ihr Glück. Aber auch sie kamen nach wenigen Minuten frustriert zurück. Wir fragten einen Einheimischen, wie der Ausblick für das Wetter wäre. Aber die Bora sollte noch mindesten bis einen Tag später hier anhalten. So lange wollte keiner hier verharren. Die einzige Chance, um von hier weiter zu kommen, war ins Landesinnere zu fahren und dann irgendwie später wieder auf die geplante Route zurück zu kehren. Also studierten wir die Optionen auf den Navis. Für mich war die Beste ein paar Kilometer zurück zu fahren und dann in die Berge abzubiegen. Zumindest war diese Straße als Größte eingezeichnet. Auf Gravel hatte ich dann doch keine Lust. Die anderen beiden entschieden irgendwie mit laufen noch ein paar Kilometer weiter zu kommen und dann abzubiegen auf eine kleinere Straße. Was ich nicht sah und wusste war jedoch wie weit das hoch geht. Es sollten über 1000hm am Stück werden. Die Landschaft jedoch war wunderschön und kam mir sehr bekannt vor. Auch wenn ich noch nie dort war. Nur Winnetou und Old Shatterhand fehlten hier noch. Als ich dann endlich über den Berg war und ins Tal fuhr, nahm der Wind merklich ab. Er war immer noch deutlich (von vorne) zu spüren. Aber er hatte zumindest eine Stärke erreicht, bei der man problemlos Rad fahren konnte. Bis zum Nachmittag ging es dann quer durch Kroatien auf Bosnien zu. Die Grenze dieses Mal unproblematisch. Zügig ging es durch. Danach fallen einem jedoch sofort zwei Dinge auf, die einem sagen, das hier etwas anders ist. Kyrillische Buchstaben und Minarette. Was aber auch auffällig war, ich konnte wieder problemlos in Euro bezahlen. Gleich nach der Grenze testete ich das in einer kleinen Bäckerei. Ich fuhr an dem Abend bis zum Einbruch der Dunkelheit. Bis ich in einem kleinen Ort ein Motel direkt an der Hauptstraße fand. Einchecken, Pizza essen, duschen, Bett. Wecken wollte mich hier keiner. So wachte ich erst um fünf früh auf. Schnell ein Blick aus dem Fenster. Die Bäume und Sträucher standen still. Schon mal nicht schlecht. Die Straße war auch trocken. Aber der Blick nach oben versprach nichts Gutes. Als ich los fuhr, war noch alles trocken. Es dauerte dann vielleicht fünf Minuten und es fing an zu regnen. Und wie! Es gab entweder starken Regen oder sehr starken Regen. Einzig durch Sarajevo war es mal normaler Regen. Zum Glück war es relativ warm. Der Tag verlief irgendwie trostlos. Man sah immer nur grau. Stoisches weiter treten war angesagt. Zweimal machte ich kurz Pause um meine Vorräte wieder aufzufüllen. In Sarajevo hatte ich noch die Hoffnung vielleicht irgendwo eine Art Media Markt zu finden, um mir ein neues Telefon zu kaufen. Meine Route führte jedoch an keinerlei Geschäften vorbei. So ging es wieder hinaus aus der Stadt in Richtung Montenegro. Mein morgendliches Ziel sah eigentlich vor zumindest bis Pluzine, dem Einstieg von CP4, zu fahren. Die Straße und die Landschaft dorthin war selbst im Regen fantastisch. Es ging eine wunderschöne Schlucht ewig lang hinauf und auf der anderen Seite auch wieder herunter. Das runter Fahren war jedoch nicht so spaßig. Es regnete wieder in Strömen. Dazu wurde es langsam etwas kalt in der Abfahrt. Die Motivation lies merklich nach. Es waren noch circa 60 km bis Pluzine. 300km hatte ich schon hinter mir an dem Tag. Gefühlt bildete ich schon Kiemen, Schuppen und Flossen. Und dann kam nach ewig Zeiten mal wieder ein Schild mit Zimmer zu vermieten, Pension. Ich überlegte nicht lange, sondern hielt einfach an. Jedoch waren alle Räume in der kleinen Pension schon vermietet. Man zeigte mir noch ein paar Finnhüten hinter dem Haus. Das war jedoch keine Option für mich. Da komme ich bei der Luftfeuchtigkeit am nächsten Morgen nässer wieder heraus, als ich am Abend hinein gehen würde. Etwas hätte er noch, meinte der Wirt. Ich solle mitkommen. Zusammen gingen wir die Treppe hoch in seine Privaträume. Er zeigte mir ein großes Zimmer, das sich zwar nicht abschließen lies, aber es war trocken und ich hatte genug Möglichkeiten meine Sachen zu trocknen. Ich meinte, es war das Zimmer der Tochter gewesen. Alles etwas rosa und auch so eingerichtet. 10 Euro wollte er dafür ohne Frühstück haben. Dafür gab es zwar weder frische Bettwäsche noch ein Handtuch. Aber das war mir an dem Tag so was von egal. Hauptsache nicht mehr weiter in dem Regen fahren müssen. Ich ging noch schnell runter in die Kneipe und aß etwas, Duschen und dann ins Bett. Ziemlich zeitig, es war noch finster, wachte ich auf. Ein erster prüfender Blick aus dem Fenster. Es hatte aufgehört zu regnen und auch kein Wind. Nichts wie los also. Es ging recht bald über eine etwas abenteuerliche Straße an die Grenze nach Montenegro. In der Mitte ein zwei Meter breiter Asphaltstreifen und links und rechts nur Schotter. Es sah irgendwie aus, als wurde die Straße nur provisorisch dort entlang verlegt. Nach der Grenze ging es dann die Pivaschlucht hinauf. Die Straße ging durch zahlreiche Naturtunnel hinauf bis zum Stausee. Dann immer etwas oberhalb des Ufers entlang bis nach Pluzine. Schon hier eine fantastische Gegend. In Pluzine musste ich in einer kleinen Kneipe kurz einen Stempel holen, als Beweis, dass ich hier war. Hier traf ich auch Anna wieder, die gerade aufgestanden war und Chris White. Ihn hatte ich noch kurz vor dem Start kennen gelernt. Ein Engländer, der in der Schweiz lebt und als Fahrradmechaniker dort arbeitet. Nach dem Stempel fuhr ich aber gleich weiter zum Supermarkt. Ein zweites Frühstück und etwas für unterwegs. Fürs Frühstück lies ich mich jedoch eine viertel Stunde Zeit auf einer Bank mit Ausblick. So viel Zeit musste sein. Dann ging es zum Einstieg in den Durmitor Nationalpark. Auf dem Navi sieht man nur eine Straße, die erst mal im rechten Winkel abbiegt und dann zahlreiche Serpentinen. Wenn man aber darauf zu fährt, sieht man nur eine riesige hohe Felswand, wo nicht ein Stück Straße zu sehen ist. Man kann sich nicht vorstellen, wo dort eine Straße entlang führen soll. Man kommt also an eine Kreuzung und biegt rechts ab, direkt in einen Tunnel hinein. In diesem geht es gleich schön bergauf, mit Kurven. Ab und an kommt man aus einem Tunnel heraus und fährt etwas außerhalb mit wunderschönem Ausblick und verschwindet im nächsten Tunnel. Nicht selten ist eine Serpentine im Tunnel. Die Tunnel an sich, unbeleuchtet und nur Naturstein, kein Beton. Eine der spektakulärsten Straßen, die ich je gefahren bin. Man gewinnt ziemlich schnell viel Höhe. Muss man doch auf 1800 m hoch. Als ich diese Wand erklommen hatte und es oben etwas flacher wurde, holte ich Chris wieder ein. Endlich mal wieder mit jemandem länger schwatzen. War ich doch die letzten drei Tage fast komplett alleine unterwegs gewesen. Gemeinsam fuhren wir über ein einsames Hochplateau die schmale, vielleicht 2 m breite, Straße weiter. Alles was es außer Natur im Überfluss hier gab, waren ein paar Schafe und Hirten. Chris scherzte noch (ohne das er von mir wusste), hier Hirte sein und all deine Probleme sind gelöst. So ganz schlecht war die Vorstellung nicht! Als wir kurz vor der ersten Anhöhe waren, kam Anna mit Francis im Racecar gefahren. Lautes Gelächter auf beiden Seiten. Mit Chris machten sie als erstes beim Fahren ein Interview. Ich fuhr derweil weiter und genoss schweigend die grandiose Landschaft. Bis auch ich gefilmt und interviewt wurde. So verging die Zeit wie im Flug und ich befand mich in der Zwischenabfahrt. Der Gegenhang war schon mit mehreren TCR Fahrern gespickt. Welche ich spätestens in der nachfolgenden Abfahrt überholen konnte. Alleine auf dem Parcours von CP4 machte ich fünf Plätze gut. Als ich in Cortina los fuhr war ich etwas über 50. gewesen. In Zabljak, der Stempelstelle von CP4, war es etwas über 30. In Zabeljak stellte ich dann fest, das mein Tracker einen Riss im Gehäuse hatte. Musste ich in den vergangenen beiden Tagen jeweils einmal die Batterien tauschen, weil Wasser eingedrungen war. Deshalb war ich immer mal wieder von der Oberfläche verschwunden.
Abschnitt 5
Zabljak – Canakkale
Mit neuem Tracker und schnell noch einem Einkauf im örtlichen Supermarkt erledigt, ging es auch gleich weiter. Die bisherige Strecke an dem Tag war noch nicht recht viel gewesen durch die vielen Höhenmeter. Aber auch der Rest des kleinen aber wunderschönen Landes war voller Berge. Ständig ging es hoch und runter. Gegen sechs ging es dann auf die Grenze zum Kosovo zu. Das und auch danach Serbien und Mazedonien bereiteten mir dann doch etwas Sorgen. Nicht ohne Grund fuhr die Bundeswehr ja immer noch im Kosovo herum. Ich wusste nicht, was mich dort erwarten wird. Werde ich dort leicht was zu übernachten finden? Ich war hin und her gerissen. Einerseits war es erst um sechs. Da kann ich noch locker 100km fahren bis um zehn. Andrerseits hatte ich nicht das Bedürfnis die ganze Nacht durch zu fahren, sollte ich eben nichts finden. So entschied ich mich im Grenzort für die sichere Variante und nahm mir ein Zimmer in einer kleinen Pension. Wieder das übliche Programm, einchecken, essen, duschen und Bett. Um halb vier wachte ich hier von alleine auf. Super, plante ich an diesem Tag wieder zurück in die EU, also Griechenland, zu fahren. Um vier fuhr ich bereits, nach kurzer Sucherei nach dem Einstieg, den Berg hinauf. Es standen mal wieder 1200 hm zum frühen Morgen an. Die Straße machte mir jedoch etwas Sorgen. Sie schien offensichtlich nicht sehr stark befahren zu sein. Es lag mehrmals ein Erdrutsch auf der Straße. Offensichtlich schon länger. Verkehr war dazu auch keiner vorhanden. Hoffentlich komme ich da oben über die Grenze. Ich hatte zwar im Internet etwas recherchiert, aber völlig sicher sein, konnte man sich nicht, ob das alles so stimmte. Nach einer Weile sah ich ein rotes Blinklicht etwas weiter oben. Ich war motiviert, es einzuholen. Es konnte ja nur ein Radfahrer vom TCR sein. Mitten im Wald um diese Uhrzeit. Es dauerte nicht lange und ich hatte mal wieder Chris eingeholt. Wieder fuhren wir schwatzend den Berg hoch. Auch er hatte Sorge, das die Grenze geschlossen sein könnte. Auch er hatte viel dazu recherchiert, war sich aber auch nicht richtig sicher. Kurz vor der Passhöhe dann die Grenzstation von Montenegro. Der Schlagbaum war oben und auch Licht war an. Als wir näher kamen, sahen wir auch das ein Grenzer im Häuschen sitzt. Super! Kurz den Ausweis gezeigt und weiter ging es. Über den Pass circa 500 hm den Berg runter. Zur Grenzstation vom Kosovo. Wieder reichte ich meinen Ausweis. Welchen ich aber postwendend zurück bekam. Kosovo only with Passport, meinte der Grenzer. Im Internet hatte ich vor meiner Abreiße noch gelesen, das man auf dem ganzen Balkan als Deutscher nur den Ausweis braucht. Ich weiß nicht mehr warum, aber mein Bauchgefühl meinte zu Hause, dass ich den Pass einpacken sollte. So reichte ich ihm meinen immer noch völlig durchnässten Pass. Bekam einen Stempel und weiter ging es. Im Ziel habe ich dann mehrere Deutsche gefragt, die durch den Kosovo gefahren waren. Es gab sowohl welche, die mit dem Ausweis durchfahren konnten, als auch welche, die um den Kosovo außen herum fahren mussten. Nun war ich also in dem berüchtigten Kosovo. Was sofort nach der Grenze auffiel, war der Müll, der beidseits der Straße lag. Nicht nur hier und da mal was, nein, es sah aus wie auf der Müllkippe. Und das zog sich durch das ganze Land. Es ging noch einige Höhenmeter den Berg hinab. Chris fuhr wesentlich langsamer als ich und so war es das letzte Mal vor dem Ziel, dass ich ihn hier sah. Als ich in der Ebene ankam, ging es gleich durch eine kleinere Stadt. Die Verhältnisse sind schon wesentlich ärmer, als alles was ich bisher auf der Strecke gesehen hatte. Dazu immer wieder freilaufende und auch wilde Hunde. Wobei diese einen zumeist in Ruhe ließen. Irgendwann gegen 7 oder 8 Uhr machte ich Rast an einer Tankstelle. Ich braucht Nachschub in jeglicher Hinsicht. Marmeladencroissants und Apfelsaft mit Wasser. Als ich hier jedoch Wasser nachfüllen wollte, verging mir der Appetit. Beide Flaschen hatten bereits ein starkes Eigenleben entwickelt. Sie krabbelten noch nicht davon, aber es hatten sich so einige Schimmelpilze darin breit gemacht. Mit Wasser ausspülen und schütteln was das Zeug hielt beeindruckte diese jedoch nicht. Hartnäckig hielten sie sich in den Flaschen. Ohne Bürste da ran kommen? Unmöglich! Ich sollte auf der ganzen restlichen Strecke nirgends eine Flaschenbürste zum Kaufen bekommen. Wer weiß wie lange das da drin schon Wurzeln schlug, dachte ich mir nur und versuchte den Gedanken daran zu verdrängen, wann immer ich daraus trinken tat.
Bei der Weiterfahrt machte sich dann erneut ein Ärgernis breit. Hatte ich doch den Tag zuvor recht zeitig beendet, weil ich nicht wusste wie es hier mit Übernachtungsmöglichkeiten aussah. Nun die Befürchtungen waren komplett sinnlos gewesen. Gefühlt an jeder Straßenecke stand ein Hotel oder eine Pension. Mehr noch als in Montenegro. Da hätte ich in aller Ruhe noch über 100 km fahren können. Ansonsten war die Fahrt durch den Kosovo relativ ereignisarm. Es ging recht flach dahin und man sah ab und an die Bundeswehr. Einzig die Stadtdurchfahrten waren Abwechslung und Erlebnis zugleich. Bekleidet von Hubkonzerten ging es im Zickzack durch die Staus. Danach ging es nach Serbien. Wäre die Grenzstation nicht gewesen, man hätte den Übertritt gar nicht gemerkt. Auch hier sah es aus wie auf der Müllhalte. Es waren nur wenige Kilometer gewesen, die ich hier geplant hatte. Jedoch hatte ich die Rechnung ohne die Grenze nach Mazedonien gemacht. Ich fuhr auf einer etwas größeren Straße auf die Grenze zu. Irgendwann passierte ich noch ein kleines Dorf und ab dem Ortsausgang sah die Straße etwas verwildert aus. Sie wuchs mehr und mehr zu. Irgendwann stand ich vor einem Schlagbaum, der natürlich unten war. Dahinter zwei Uniformierte mit Kalaschnikow. Zum Glück sprach einer davon etwas englisch. Das ich hier nicht durchkommen würde, war mir schon fast klar und wurde auch so bestätigt. Ich schaute auf meinem Garmin nach und fand noch einen Grenzübergang in vielleicht zwanzig Kilometer Entfernung. Dieser wäre aber auch geschlossen. Also schaute ich in noch größerer Entfernung nach. Da gab es zwar was, aber ob diese auf sind, wusste er nicht. So fragte ich was mit der Autobahn sei. Ob ich über diese nach Mazedonien gelangen könnte oder ob diese für Radfahrer gesperrt ist? Er meinte das ich diese befahren darf und wüsste keinen Grund warum nicht. Also fuhr ich zurück bis zur letzten Auffahrt vor der Grenze. Eine neue, vierspurige Autobahn mit breitem Standstreifen. Kein Verkehr und es stand auch kein Verbotsschild an der Auffahrt. Etwas mulmig war mir schon zu Mute. Aber die fehlenden Optionen machten die Entscheidung relativ einfach. So fuhr ich auf und mit ordentlich Rückenwind der Grenze entgegen. Ich überlegte die ganze Zeit hoch und runter, was denn jetzt dort passieren wird. Mehr wie eine Strafe und das man mich mit dem Auto zurückbringen würde, konnte ja nicht passieren. Ich fuhr also an der Schlange vorbei und reihte mich kurz vor dem Grenzposten wieder ein. Ich zog meinen Ausweis aus der Tasche und reichte ihn ins Häuschen. Nach einer kurzen Begutachtung von mir, dem Ausweis und einem Check im Computer, erhielt ich den Ausweis zurück mit den Worten „Weiter!“. Als wäre es das natürlichste auf der Welt, dass man hier mit dem Rad ankommt. An der mazedonischen Grenzstelle dann genau dasselbe. Ab hier waren es circa 15 km bis zur nächsten Stadt, wo ich wieder auf meine originale Strecke kommen würde. Da kein Verkehr war, zog ich es vor, gleich auf der Autobahn weiter zu fahren. In Kumanovo ging es nach einem kurzen Boxenstopp weiter in Richtung Griechenland. Auf einer ziemlich einsamen Landstraße, jedoch war diese der pure Hass! Spätestens alle fünf Meter gab es einen Querriss im Asphalt und das über 80km. Nach rund 3000 km eine Tortur vom feinsten. Egal ob Hände, Füße oder Hintern, es schmerzte bei jeder Fuge höllisch. Nach circa zwei Stunden hatte ich mich dann langsam daran gewöhnt. Bis zum Sonnenuntergang ging es auf wenig befahrenen Straßen wellig in Richtung Grenzgebirge zu Griechenland. Mein Ziel war es an dem Tag noch zurück in die EU zu kommen. Als es finster wurde, ging es wieder in die Berge. Keine steilen Straßen. Aber dafür muss dort ein satter Rückenwind geblasen haben. Es lief dort die Straßen hoch wie von alleine. Im Nu war ich am Dojransee. Vor der Grenze zu Griechenland machte ich noch einen letzter Stopp, um die Vorräte wieder aufzufüllen. Ich weiß nicht mehr warum, da ich eigentlich geplant hatte nach der Grenze mir etwas zum Schlafen zu suchen. Auf mazedonischer Seite kam jetzt ein Hotel, Pension oder Kneipe an der nächsten. Es war abends um elf und es waren noch jede Menge Leute hier unterwegs. Was man im Dunkeln so erahnen konnte, lud es auch ein zum Urlaub machen hier. Da werde ich schon auf der anderen Seite auch etwas finden, dachte ich. Voller Elan, den Tag fast geschafft zu haben, fuhr ich also auf die Grenze zu. Kurz den Ausweis gezeigt. Der Grieche meinte nur es wäre sehr gefährlich nachts auf den Straßen für Radfahrer. Ich weiß nicht warum, aber die wenigen Fahrzeuge können nicht das Problem dafür sein. So fuhr ich also zurück in die EU. In dem Falle aber in ein riesiges schwarzes Loch. Nach der Grenze war einfach nichts mehr. Kein Licht, keine Häuser, Tankstellen, … einfach nur finstere, dunkle Nacht. Aus der Ferne hörte man von der anderen Seite des Sees noch etwas Leben. Aber hier war alles wie ausgestorben. Es war abends um elf und ich hatte alles aufgefüllt. Warm war es sowieso. Weiter fahren, was anderes kam nicht in Frage. Und so fuhr ich einsam und alleine durch die griechische Nacht. In der Gegend gab es kaum bewohntes Gebiet. Und wenn doch, war alles ziemlich finster. Erst gegen zwei Uhr morgens kam ich das erste Mal durch eine kleine Stadt. Ein paar Kneipen waren noch offen. Wenigstens konnte ich hier wieder etwas Wasser nachfüllen. Es rollte ziemlich gut bis dahin. Zum frühen Morgen wurde es jedoch ziemlich zäh, die Augen wurden immer schwerer und die Begeisterung war irgendwie gerade wo anders. Ich fuhr noch durch eine recht große Stadt. Als ich auf der anderen Seite war, suchte ich mir eine Bank in einer Bushaltestelle zum Schlafen. Direkt an einer vierspurigen Straße. Herrlich nach 24 Stunden Rad fahren etwas schlafen. Im Nu war ich auf der harten Bank weg. Leider wachte ich schon nach zwei Stunden früh um sechs wieder auf. Es war recht kühl geworden und ich fror erbärmlich. Schnell was essen und aufs Rad. Weiter fahren zum warm werden. Wobei von Fahren nicht so recht die Rede sein konnte. Es ging sehr zäh dahin. Immer schön Wind von vorne. Dazu permanent wellig. Und die Straßen, sie waren hier schon nicht mehr so schlimm, wie gleich nach der Grenze. Je weiter man nach Osten kam, umso besser wurden sie. Dazu kam dann die Hitze und zu allerletzt meine körperliche Verfassung. Diese war seit dem Aufwachen nicht wieder besser geworden. Der Magen drehte sich permanent mit einem leichten Übelkeitsgefühl. Dazu die Müdigkeit. Als ich durch Kavala kam, sah ich das erste Mal das Meer. Dazu herrlicher Sandstrand dort. Ich überlegte einige Kilometer, ob ich nicht anhalten und mal schnell baden gehen sollte. Eigentlich ärgere ich mich jetzt noch darüber es nicht gemacht zu haben. Kurz danach mein erster Platten. Es ging etwas leicht den Berg hoch, geradewegs auf eine Tankstelle zu. Langsam entwich die Luft und ich musste noch fünfzig Meter schieben, um unter das rettende Dach einer Tankstelle zu kommen. In der prallen Sonne den Schlauch wechseln, zum Glück blieb mir das erspart.Als es Mittag war, fuhr ich in einem kleinen Ort an einem Park vorbei. Herrliche alte Bäume, die jede Menge Schatten werfen. Dazu Parkbänke. Ich brauchte wieder mal nicht lange darüber nachzudenken. Im Nu lag ich auf der Bank und schlief. Leider auch wieder nur zwei Stunden, weil die Bank so unbequem war. Danach quälte ich mich zu einem Imbiss gleich daneben zu einem großen Teller Pommes und Cola. Bei fast 40 Grad und nach wie vor Gegenwind ging es dann so langsam Richtung Türkei.
Am Nachmittag bei einem Bäcker hatte ich dann noch ein tolles Erlebnis zum Thema Zahlen und Rechnen. Wie üblich zeigte ich mit dem Zeigefinger auf das, was ich haben wollte und dann mit den Fingern die Anzahl. Das funktionierte schon in Frankreich und auch auf dem gesamten Balkan. Nur hier nicht. Ich zeigte drei von den Käsestangen und bekam nur eine hingelegt. Also zeigte ich erneut, dass ich drei haben will. Nun legte die Verkäuferin noch zwei dazu. Dann wollte ich noch ein Stück Kuchen haben. Als ich bezahlen wollte und sie alles einpackte steckte sie jedoch nur eine Käsestange in die Tüte. Also das ganze Spiel von vorne. Jedoch packte sie mir jetzt vier Käsestangen und eine Sesamstange ein. Leicht genervt davon, bezahlte ich. Keine Ahnung was hier falsch lief, aber ich hatte den Eindruck mit Zahlen haben sie es hier nicht so.
Zum Abend hin kam jetzt der schönste Teil von Griechenland. Es wurde bergig. Auf kleinen Straßen ging es langsam berghoch auf knapp 400 Meter durch herrliche kleine Dörfer und Wälder. Es strahlte alles eine angenehme Ruhe hier aus. In einer Kneipe in einem kleinen Bergdorf hielt ich an, um meine Trinkvorräte wieder aufzufüllen. Vier Männer saßen draußen und spielten Karten. Dazu kam Gesang aus einem kleinen, nahe gelegenen Kloster. Ich kam mir etwas vor wie im Film. Am liebsten hätte ich mich hier hingesetzt und hätte einfach nur den Abend genossen. Aber ich musste ja weiter. So langsam fing ich an zu rechnen, ob es Sinn machen würde, die Nacht durchzufahren oder lieber nochmal irgendwo zu schlafen. Als ich weiter in den Bergen drin war, dann die erste und einzige Schotterstraße. Kurz nach einem Dorf fing sie an. Abends kurz vorm dunkel werden, wollte ich unmöglich da lang fahren. Also kurz Karte studieren, ein Stück zurück fahren und mit rund 10 km Umweg ging es weiter. Das war mir lieber als irgendwo mit mehreren Platten liegen zu bleiben. Ein weiterer Vorteil, ich kam durch Alexandroupolis und konnte hier nochmal einkaufen gehen. Von hier bis in die Türkei, noch etwa 50 km. Es war abends um zehn. Insgesamt keine 200km mehr. Eigentlich nicht viel. Aber in Anbetracht des wenigen und schlechten Schlafes die letzten zwei Tage machte mir das schon etwas Sorgen, sollte ich die ganze Nacht weiter fahren wollen. Irgendwann kamen wieder ein paar Schilder mit Hotelaufdruck. Ich bog ab zum ersten. Voll belegt. Das zweite genauso. Beim dritten hatte ich mehr Glück. Das war fast leer. Egal. In Ruhe duschen, schlafen und dann am nächsten Tag ausgeruht die letzten Kilometer nur noch genießen. So startete ich am Morgen wieder viel zu spät um halb sechs, da ich nach wie vor keinen Wecker auftreiben konnte. Angesichts der drohenden Hitze wäre ein Start zwei, drei Stunden eher schon kein Fehler gewesen. Wieder bei schönem Gegenwind ging es in die Türkei. An der Grenze eine kurze Frage, ob ich auch nach Canakkale möchte und schon war ich auf der anderen Seite. Ab hier große breite Straßen mit Flüsterasphalt. Kein Vergleich zu Griechenland. An allen Ecken und Enden wurde gebaut. Und endlich gab es Schilder von McDonalds und Burger King in Kesan. Mir lief förmlich das Wasser im Munde zusammen, so freute ich mich nach bald viertausend Kilometern endlich einen Burger essen zu können. Jedoch wurde ich zum wiederholten Male enttäuscht. Ich war um neun dort und um elf wird erst geöffnet. Also wieder einmal Tankstelle. Die letzten hundert Kilometer musste das eben auch noch gehen. Die Straße bis Gallipoli, wo ich übersetzen wollte, war sehr wellig, fast schon bergig. Dazu kamen ab der Mittagszeit wieder Temperaturen um die 40 Grad. Mehr als zwei Stunden am Stück fahren war nicht drin. Länger hielten die zwei Flaschen Wasser einfach nicht. Eine nutze ich zum Trinken und eine zum darüber schütten. Wobei annähernd 40 Grad warmes Wasser aus verkeimten Flaschen weder schmeckt noch abkühlt. An jedem Stopp gab es jetzt Eis und kalte Cola. Egal, was der Verdauungstrakt dazu sagt. Anders war es nicht mehr zum Aushalten. In Gallipoli angekommen, holte ich schnell Geld und fuhr zur Fähre. Mit kalter Cola und ein Eis setzte ich mich auf ein schattiges Plätzchen am Oberdeck und genoss die Überfahrt nach Asien. Ab hier kam Urlaubsfeeling auf, aber auch etwas Traurigkeit. In knapp 40 km war schließlich der ganze Spaß vorbei. Diese sollten es aber noch einmal in sich haben. Der Wind kam hier so stark von hinten das ich förmlich aus der Stadt geblasen wurde. Mit im Schnitt 40 km/h ging es vorbei an Pfirsich, Granatapfel und Olivenbäumen. Das machte nochmal richtig Laune zum Abschied. So dauerte es auch nur rund eine Stunde bis ich in Canakkale ankam. Unterwegs kam mir Carlos entgegen. Er musste wegen der Arbeit schon eher wieder zurück fahren und kämpfte hier mächtig gegen den Wind. Von der Schnellstraße runter in die Stadt hinein war wegen dem Verkehr nochmal etwas nervig. Aber dann stand er da, das finale Ziel, der Glockenturm. Leider hatte ich etwas Pech und es war gerade niemand weiter da außer zwei Helfer, die mir die Brevetkarte und den Tracker abnahmen. So war das Ankommen etwas emotionslos geworden. Aber egal, ich hatte es geschafft, hatte gefinished und das noch lange nicht als letzter.
Das TCR in Zahlen
3873km, 40584Hm, 155:30 Bewegungszeit, eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 24,9km/h, Durchschnittspuls von 116 und 87868 verbrauchte Kalorien.
Fazit
Das (langes) Rad fahren DER Sport meines Lebens ist, war mir schon länger klar. Mit dem TCR habe ich auch DIE perfekte Veranstaltung für mich gefunden!
Das Rad fahren ist hier das eine, nicht unwesentliche. Was es aber ausmacht ist das ganze Drumherum. Es ist Abenteuer pur. Man weiß früh nie, wo man etwas zu Essen, Trinken oder Schlafen bekommt. Man weiß nicht, wie die Straßen sind oder ob Grenzübergänge offen sind. Man muss ständig mitdenken, flexibel sein und kreativ mit unbekannten Problemen umgehen können. Dazu muss man sich natürlich ständig selbst dazu motivieren können, weiter zu fahren, egal was gerade ist. Es verging nicht ein Tag ohne ein bleibendes Erlebnis oder einer Begegnung. Dazu die zahlreichen, zuweilen haarsträubenden Geschichten von Mitstreitern. Dann kommen natürlich die völlig unbekannten Länder und Gegenden dazu. Ohne das TCR wäre ich wahrscheinlich niemals da hingekommen.
Hallo Björn! Habe mir heut dein tollen Bericht reingezogen. Solch Strapatzen auf sich zunehmen. Einfach Wahnsinn!Es ist schon unglaublich, zu was man in der Lage ist,zu leisten.Kann nur sagen Glückwunsch……………….Glückwunsch das du das Ding durch gezogen hast.
Das war großes Kopfkino.Du solltest dich mit Rexer zusammentun.Eure Erlebnisse aufs Extreme u dementsprechenden Berichte sind es Wert, mal nen Buch herauszubringen.
Mein Rad hängt mittlerweile schon seit Monaten an der Decke.Habe momentan keine Zeit zum radeln.Im nächsten Jahr soll es dann aber wieder los gehen.Ob es nochmal für große Touren reicht wie ES oder so,glaube ich zwar nicht. Wir werden sehen.
Laß es dir gut gehen und man sieht sich mal wieder.
LG vom Columbianer
Hallo Björn, spannend, kurzweilig und aus dem Herzen geschrieben. Vielen Dank für das Lese-Erlebnis. Dass auch Du als 42 Stunden PBP-Rekordler in Schwierigkeiten kommen könntest, hatte ich bald schon nicht mehr erwartet. Lange war ja ungewiss, warum der Tracker Dich solange bei Cortina zeigte. Jetzt weiß ich, warum. Jetzt kenne ich die ganze Geschichte. Lust und Leiden können offensichtlich so nahe beieinander liegen. Und besonders freut es mich, dass Du DEINE Veranstaltung gefunden hast: TCR. Für mich mit mittlerweile 66 ist das eine Nummer zu groß. Vielleicht sehe ich Dich ja noch bei PBP 2019…
Großes Kino und es macht immer wieder Spaß, deine Berichte zu lesen. Ich hoffe, du hast dir den Kopf „freiradeln “ können und dir geht es wieder gut.
Man sieht sich.
Alles Gute und viele Grüsse. Falk
Danke für das Teilen dieses Erlebnisses. Genau meine Kragenweite, es hängt viel mehr an der Leidenschaft, an der Person als am reinen Training, Material. So bleiben Touren in Erinnerung.
Sehr cooler Bericht und ich frage mich immer, wie man so viele Details behalten und dann auch noch so interessant niederschreiben kann. Mach weiter so & happy riding! Gruss Jens aus Karl-Marx-Stadt/Zürich
[…] unterschätzt. Das Rennen war einfach in keinster Weise mit dem TCR04 (der Bericht ist hier zu lesen) vergleichbar. Dieses als Lachnummer abzustempeln wäre der Sache ganz sicher nicht […]
Du hast hier wirklich einige gute Punkte genannt! Sehr informativ, vielen Dank für diesen Beitrag! 🙂
Danke für den Bericht. Gegen den Belag in der Flasche helfen ein paar Reiskörner, etwas Flüssigkeit und kräftig schütteln. Das Mundstück muss freilich anders gereinigt werden.
War das toll diesen Bericht zu inhalieren!
Das letzte Foto noch dazu und man fängt sofort an die wohl grenzerfahrenden Strapazen zu romantisieren, und sich auch gleich beim TCR anmelden zu wollen!