Rennbericht RATA 2016
Vorwort
Ein paar Tage sind seit dem Race Across The Alps 2016 vergangen. Es war meine zweite Teilnahme beim (angeblich) härtesten Radrennen der Welt. Anspannung fällt ab und die permanente Müdigkeit tritt langsam zu Tage. Zeit um zwischen „im Bett liegend“ und „am Schreibtisch sitzend“ ein paar Worte zum diesjährigen Race Across The Alps zu schreiben.
Anmerkung: Für das Schreiben dieses Berichtes vergingen 13 Tage mit mehr oder weniger starkem Schreib- und Mitteilungsbedürfnis. Die Müdigkeitserscheinungen hielten zum Glück nur eine gute Woche an.
Wofür schreibe ich eigentlich, frag ich mich in Phasen ohne Motivation?
Mittlerweile zum einen für die steigende Anzahl von Fans, die mit einer wahnsinnigen Begeisterung und Spannung das Geschehen um mich verfolgen. Zum anderen für mich selber. Im Kopf schwirren soviele Gedanken, die es oft schwer machen, die Dinge zu Ende zu denken und aufzuarbeiten. Immer die große Frage: Warum ist man so, wie man ist? Warum nur nimmt man solche Strapazen auf sich? Sind das überhaupt Strapazen? „Extremsportler Robert Petzold“, so stehts in den Zeitungen. Soweit ist es also schon gekommen. Was die einen als extrem ansehen, ist für mich nicht Normalität, aber gehört eben dazu. Sich zum Beispiel 23 Uhr nach 250 gefahrenen Kilometern am Anstieg zum Passo Bernina während der Fahrt den Schuh vollzukotzen und versuchen einfach weiter zu treten, als wenn nichts gewesen wäre. Oder in der Abfahrt vom Flüelapass bei 60 km/h in der Morgendämmerung mit Sekundenschlaf zu kämpfen. Ja, das ist dann wohl doch extrem für die allermeisten Menschen und ehrlich gesagt auch für mich etwas erschreckend und ein Fingerzeig, nicht noch deutlich härtere Dinge anzugehen. Tortour, Race around Austria, Race across America. Ich hoffe, das ich da nie am Start stehen werde. Bei allem Respekt vor den Teilnehmern dieser Rennen (Glückwunsch Pierre zum Sieg!!!), ich möchte schneller werden und mental nicht weiter abstumpfen müssen, um die Qualen ertragen zu können.
Das RATA ist ein Rennen voller Höhen und Tiefen. Der Kopf wird stark beansprucht. Wenn ich nicht den Finisherpokal in der vierten Nacht nach dem RATA neben mein Kopfkissen gelegt hätte, wären wohl noch einige bange Minuten mehr im Bett vergangen, wo ich mich noch immer im Rennen wähnte und das Ding über Stelvio und Reschenpass nach Hause schaukeln muss.
Ich könnte soviel erzählen und fragte mich die ersten Tage nach dem RATA, an welchem Punkt ich anfange mit dem Bericht. Zum Beispiel beim Blick auf die Waage am Mittwoch vor dem Rennen. 59.7 kg. „Yeah!“ oder schon viel eher? Zu erzählen gibt es viel. Doch da es ein Bericht zum RATA ist und der eh schon wieder lang genug wird, beginne ich einfach mit dem Start des Rennens am Freitag um 13 Uhr…
Mission Titelverteidigung
Also großer Favorit wurde ich gehandelt. Psychische Belastung? Sicher! Aber ohne überheblich zu sein, war das auch eine realistische Einschätzung der Dinge und meinen Ansprüchen genügend. Neben Paul Lindner, dem RATA-Dauerbrenner, konnte ich aus der ersten Reihe starten.
Paul, das ist wohl ein Instinktradfahrer wie er im Buche steht. RATA Nr. 16 und Attacke nach 500 m zum Weg auf den Reschenpass. Über 300 Watt stehen auf dem Tacho und Paul knallt vorne weg, als wenn das Ziel am Stelvio wäre. Ich schüttele nur mit dem Kopf und versuch mich etwas im Feld zu verstecken und mich klein zu machen, um keine unnötigen Körner zu verbrennen.
Mindestens 21 Stunden ist das Rennen lang. Die magische Marke von 21 Stunden, die ich durchaus als reales Ziel im Hinterkopf hatte, nachdem ich letztes Jahr bei der Premiere immerhin eine Zeit von 21 Stunden und 36 min schaffen konnte. Die nüchterne Analyse vom letzten Jahr war eindeutig. Ich war zu schnell im ersten Renndrittel bis zum Mortirolo und generell hatte ich zu viel Standzeit. Zwei Punkte, die es nun zu verbessern gab, um 2016 mit optimierter Fahrweise schneller das Ziel zu erreichen. Das Wetter zeigte sich jedenfalls wieder von der besten Seite. Die Sonne lachte und knallte ordentlich auf die Rübe. Doch alles besser, einfacher und vor allem schneller, als bei Regen und Kälte in hochalpinen Gefilden unterwegs zu sein. In der etwa 20 Mann großen Spitzengruppe flogen wir am Reschensee entlang. Wobei „Mann“ nicht ganz richtig ist, war mit Nadja Prieling eine sehr schnelle Frau mit von der Partie. Ein Teilnehmer fragte mich auf Englisch, was das Schwein bei mir auf dem Trikot zu bedeuten hätte. Er findet es großartig. Ich entgegnete nur „I am the pig!“. Er lachte. Etwas Spaß muss eben sein.
In der Abfahrt nach Mals zeigte Matze Reinfried von den Dresdner Picardellics sein Können an der Spitze des Feldes. Ein sagenhaftes Tempo in den Kurven, das ich mir dieses Jahr nach einem Sturz im Kreisverkehr Ende Mai einfach nicht zu trauen wagte. Den Weltrekordversuch in Holzhau dabei immer in Gedanken. Nur kein Risiko!
Prato am Fuße des Stilfser Joch erreichte ich gemeinsam mit der Spitzengruppe. Ich freute mich über jede Bergauffahrt. Meine Stärke. Je länger und steiler, desto besser für mich. Die erste Flasche Plempe war nach weniger als einer Stunde geleert. Die Parallelen zum letzten Jahr unverkennbar. Zielvorgabe: eine Flasche leckere Schweineplempe pro Stunde. 60g Maltodextrin, 30g Fructose und eine Prise Salz. 8 Stunden lang, bevor die Spezialmischung zum Einsatz kommen sollte, doch dazu später mehr. Hinter mir fuhr die Schweinekarre. Hilde am Steuer, Holger am Funk, mein Bruder an Iphone, GoPro und Kamera und dann war da noch Björn: Streckenrekordhalter bei Paris-Brest-Paris. Wohl der beste Experte für Langstrecken, den man sich vorstellen kann.
Die 48 Kehren zum Stilfser Joch
Im Anstieg zum Stilfser Joch passierte das, was zu erwarten war. Paul Lindner versuchte wieder sein Glück in der Flucht. Ich schwatzte ein bisschen mit Matze und scherzte, er solle das Tempo von Paul Lindner mitgehen. Das tat er dann auch wirklich. Hihi, ein bisschen Schadenfreude konnte ich mir nicht verkneifen, denn so war ich mir bewusst, das da vorn zwei gerade etwas schneller ihre Speicher leer fahren. Und ehrlich gesagt, machte ich mir um Matze als Konkurrenten eher weniger Sorgen und dachte, ich würde ihn im Laufe des Anstieges schon wieder einholen. Etwas Übermut, wie sich in den kommenden Stunden herausstellte. Jedenfalls, bildete sich, nachdem Matze und Paul nach vorn entflohen waren, eine Verfolgergruppe um Severin Zotter, Walter Sageder, Stefan Ruppen, Lukas Kienreich und mir.
Mein Puls lag ungewöhnlich hoch. Die Hitze machte zu schaffen und ich spritzte mich mit Wasser, das ich von der Begleitcrew gerreicht bekam, kalt ab. Es war so kalt, das kurz der Atem stockte, wenn das kalte Wasser im Nacken herunter läuft. Unverkennbar, wie der Puls in Folge wieder ein paar Schläge nach unten sackte und ich mich besser fühlte. Die Beine waren sowieso gut drauf. 240 Watt sind auch keine Meisterleistung für die Muskeln und mit jedem Höhenmeter wurde es kühler. Das Herz-Kreislauf-System freute sich. Severin und Walter, für mich die Favoriten auf das Podium, nachdem ich Friedrich Dähler nirgends erblicken konnte, sahen schon angeschlagen aus. Mussten jedenfalls intensiver zu Werke gehen als ich. Stefan Ruppen und Lukas hatten noch größere Probleme und fielen bald zurück. Kehre um Kehre setzte ich mich langsam von Severin und Walter ab.
Ich hoffte oben im Anstieg auf Matze aufzuschließen, doch die Hoffnung starb schnell, als sich Matze einen Vorsprung von mindestens zwei, drei Kehren erarbeitete. Nur Paul Lindner konnte ich noch überholen. Der Wind war eigentlich ganz gut, ebenso wie die Leistung, aber je näher ich der Passhöhe kam, desto mehr realisierte ich, dass ich doch etwas langsamer als im Vorjahr unterwegs war. Ich überquerte als Zweiter die Passhöhe. Beifall von Thomas und Gallo. Den beiden Medienknechten, die aus der Unterkunft später den Liveticker fütterten. Und da waren noch meine Eltern, die extra auf den Stelvio fuhren, um mich dort zweimal kurz drüber fahren zu sehen. So sind sie eben die Eltern… Ich hoffte nur bei der zweiten Überquerung am nächsten Morgen noch einen guten Eindruck zu hinterlassen, damit sich die liebe Mutti, die Gesundheit stets als höchstes Gut propagiert, nicht allzuviele Sorgen um ihren Sohn machen muss.
Doch bis zur zweiten Stelvioüberquerung war noch viel Zeit. Die Abfahrt nach Bormio verlangt volle Konzentration. Zu allem Übel, war auch noch die Baustellenampel auf Rot geschalten. Beim wieder Losfahren, war auch schon Walter Sageder an mir dran. Sinnlos, hätte ich auch gleich mit ihm über den Stelvio fahren können. Zu zweit fuhren wir die lange Abfahrt bis Bormio hinab, wo uns erneut die Rote Ampel stoppte. Etwas Smalltalk und beinahe verpassten wir im Gespräch vertieft, wie die Ampel wieder auf Grün sprang.
Gavia ohne Gavia Wetter
Der Anstieg zum Gavia-Pass begann schnell. Dennn der Wind drückte uns förmlich den Berg hoch und Severin Zotter kam aus dem nichts herangebraust. Nun also zu dritt in den Gavia. Ähnlich wie letztes Jahr, wo ich mit Jürgen Pansy und Roman Herrmann in Führung lag.
Dieses Jahr war aber noch einer voraus. Ein Dresdner noch dazu. Der Matze hielt sich erstaunlich gut. Ich weiß, er kann abfahren und macht dort Zeit gut. Ich hoffte berghoch, wird er schon langsamer werden, während ich am Gavia strickt mein konstantes Pacing fahren werde. Die Zeit verging. Ich löste mich abermals von Walter und Severin. Doch der Matze…. Er kam und kam nicht näher. Im Gegenteil. Über 4 min hatte er nun schon Vorsprung. Es nagte gehörig an mir, dass so ein 40 jähriger und vollberufstätiger Rookie aus meiner Heimatstadt beim RATA souverän führte und keine Zeichen der Schwächen zeigte. Mit der Aussicht auf die schwierig zu fahrende Gavia-Abfahrt, sah ich ihn schon mit 6 min Vorsprung in Edolo.
Die Euphorie von meiner ersten Teilnahme, wo ich vom Gavia weg bis zum Schluss führte, war dieses Jahr nicht da. Es war klar, dass es beim zweiten Mal sehr wahrscheinlich mehr Arbeit werden würde. Dem war ich mir schon im Vorfeld bewusst. Weniger verständlich war mir, warum ich dieses Jahr, trotz höherer Wattzahlen am Stelvio und der zum Vorjahr identischen Leistung am Gaviaanstieg, nun doch hinter meiner Marschtabelle zurück lag. Doch weniger gute Windverhältnisse oder bin ich nun einfach ein wenig schwerer? Zeit zum Grübeln hatte ich genug und fand keine Antwort.
Während sich am Stelvio dunkle Quellwolken breit machten und ich schon mit Gewitter am Stelvio rechnete, war die Wolkendecke nun wieder freundlich. „Gewitter am Gavia. Das gibt gute Aufnahmen für das Filmteam“, unkten wir noch am Vortag. Der Kopf war dieses Jahr wirklich hart. Radsport zum Beruf zu machen. Bei diesem Lebenstraum hält mich so schnell nichts auf.
Nach 86 min fuhr ich über den Gavia. Es war so warm, dass ich nichtmal Armlinge bergab benötigte. Dafür wäre ein Vorderlicht jedoch ganz gut gewesen. Letztes Jahr war die Schweinekarre im Gaviatunnel hinter mir und leuchtete. Dieses Jahr machte ich Erfahrung, wie es ist, mit dunkler Sonnenbrille und über 40 km/h in ein dunkles Loch zu fahren, wo man nichts sieht und zum Glück nur die holprige Piste spürt und nicht ein der beiden Tunnelwände. Ich bremste stark ab, schob die Sonnenbrille runter und beruhigte mich langsam wieder. In der Tunnelmitte schrie mich noch eine entgegenkommende Radfahrerin an. Sie hatte anscheinend die Befürchtung von mir übersehen zu werden. Die weitere Abfahrt verlief wenig nervenaufreibend und auf Sicherheit bedacht. Im unteren Teil bei Ponte di Legno erleichterte ich meine Blase. Roman Herrmann schrieb mir noch vor dem Rennen, wo ich beim RATA am besten bei 40 bis 50 km/h während der Fahrt pinkeln kann. Ich übte es schon im Vorfeld und malte hundertmeter lange Streifen auf dem Asphalt. Das Pinkeln während der Fahrt klappte gut. Jegliche Standzeit ist verlorene Zeit und die war letztes Jahr mit über 40 min in Summe verbesserungswürdig.
Matze in Sicht!
Etwas überraschend sah ich Richtung Edolo den Matze vor mir. Wie letztes Jahr, war der Weg nach Edolo einer der wenigen Abschnitte mit Gegenwind. Er wartete auf mich und ich freute mich. Auf so einem Abschnitt zusammen zu fahren, erspart richtig Arbeit. Wir harmonierten gut. Anfangs etwas unentschlossen, ob wir auf Walter und Severin warten sollten, sie waren nur eine Minute hinter uns, zogen wir dann doch zügig durch. Der Anstieg nach Aprica war nun sehr entspannt für mich. Ich hatte Kontrolle über das Rennen und mit Matze noch einen super Partner an der Seite. In der Abfahrt nach Tresenda versuchte ich sein Himnterrad zu halten, aber ich bremste öfters unnd bald war er wieder weg. In Tresenda sah ich ihn. Er hatte etwa 40 Sekunden Vorsprung in der Abfahrt gewonnen. Mit etwas Einsatz stopfte ich das Loch wieder. Die Plempe lief planübererfüllend in meinen Rachen. Flasche 7 und 8 und die Aussicht bald von Natur-Plempe auf Schwarztee-Waldmeister-Plempe zu wechseln, gaben mir Zuversicht. Mit Koffein im Tank geht eben doch noch mehr. Richtung Mortirolo fuhr Matze viel vorn. Es gab nie taktische Spielchen zwischen uns. So soll es sein! Vor Mazzo rollten wir eine italienische Radgruppe auf. Nachdem mich einer der Typen anquatschte, verlor ich den Überblick und verpasste die erste Einfahrt zum Mortirolo. Die zweite wurde mir rechtzeitig über Funk angekündigt. Matze war da schon weg. Er wechselte das Rad und nahm wohl die erste Auffahrt.
Mortirolo – Der Scharfrichter
Gernot, Organisator vom RATA meinte am Vortag, die zweite Zufahrt über Mazzo ist etwa 500 m länger. Ich ärgerte mich über die verlorene Minute und fuhr nun mit ziemlich viel Dampf in den Mortirolo rein. Matze war hinter mir und eine kleine Lücke vorhanden. Ein herrliches Duell zwischen uns am Mortirolo. Ich versuchte Matze ein wenig zuzusetzen. Es motivierte mich, wenn er bald die Schweinekarre von hinten sehen würde.
Doch wieder, Matze hielt sich wacker und blieb lange auf Sichtweite. Manchmal vergrößerte sich die Lücke. Dann fragte ich über Funk, ob der Matze jetzt endlich platzen würde. Nein, meinte Holger und sagte, ich solle einfach mein Rennen fahren. Ich fuhr meine Wattwerte, irgendwas um die 230 Watt und ab der Hälfte war Matze wirklich weg und ich in Führung beim RATA. Pure Physik, ich habe einfach das bessere Systemgewicht und das kommt nirgends so zum tragen wie am Mortirolo. Nun konnte ich mich auf mich konzentrieren.
Erinnerungen an das Vorjahr wurden wach. Es war die identische Rennkonstellation. Die Stimmung und die äußeren Bedingungen vergleichbar. Auf dem Mortirolo klickten zum ersten mal beide Pedalen und ich setzte mich in die Schweinekarre. Armlinge, Beinlinge, Weste, Licht montieren.
Der Boxenstop klappte dieses Jahr noch etwas schneller als im letzten Jahr. Hilde fragte mich, wie es mir gehen würde. Genauso gut/schlecht wie 2015? Nach 8 Stunden ist man einfach nicht mehr frisch. Etwas ernüchtert war ich, weil ich hinter dem Vorjahreszeitplan lag, was prinzipiell ok war, aber ich mich genauso wie letztes Jahr gefühlt habe und bisher kaum Körner sparen konnte, was ich mir insgeheim erhofft hatte. Körner sparen für den Bernina, wo es mir 2015 den Stecker zog und nur noch 160 Watt am Pedal ankamen. Das Szenario wollte ich nun unbedingt vermeiden.
Aprica zum Zweiten. Die Nacht beginnt.
Ab Edolo drosselte ich mein Tempo bewusst. Im Kopf fuhr ich nun mein Rennen. Unabhängig von den Verfolgern. Noch hatte ich den Streckenrekord nicht abgeschrieben. 21:26 h. Ich muss etwa 25 min zum Vorjahr aufholen, wo ich etwa 10 Minuten über Streckenrekord ins Ziel rollte. Warum soll das nicht möglich sein? Ich kann nun während der Fahrt pinkeln und bin härter im Kopf. So hart, das ich mir im Vorfeld eingetrichtert habe, bei aufkommender Übelkeit einfach weiter zu fahren. 10 Minuten verlor ich im Vorjahr in Prato, als ich mich auf dem Martkplatz übergeben musste. Grenzwertig viel Energie zuzuführen, heißt immer am Rande der Übelkeit unterwegs zu sein. Das Gefühl, das der Mageninhalt wieder raus möchte, ist beim RATA ab 10 Stunden Renndauer scheinbar ein ständiger Begleiter von mir. Die Plempe schmeckte bisher so gut, dass ich etwas zuviel davon trank. Im Bauch spürte ich recht viel Zuckergebräu herumgluckern. Nicht gut! Ich fuhr nun schon eine Weile mit der Koffein-Turbo-Schweineplempe. Allein der Geschmack von Waldmeistersirup war nicht so schön. Ich trank trotzdem, so gut es ging. In Tirrano bog ich links in den Bernina ein. Der Anblick der Kathetrale und der geistige Ausblick auf einen fast 2000-Hm-HC-Monster-Berg bei Nacht ist immer wieder episch. Das erste Steilstück im Bernina lief mit über 200 Watt sehr zufriedenstellend. Nur mein Mageninhalt hob es zunehmend nach oben. Ich war von dieser Situation ja aber keineswegs überrascht. Höchstens von dem frühen Zeitpunkt. Im Wiegetritt fahrend, kotzte ich mir die Brühe über den linken Schuh. Fuhr weiter und sagte nichts mehr. Ich hoffte, die Schweinecrew würde gar nichts von dieser Schwächephase merken. Ich wollte Stärke beweisen. Ein paar Minuten später meinte Holger über Funk, dass bald die nächste Flasche Plempe ansteht. Allein diese Nachricht, war für meinen derzeitige Verfassung sowas von unpassend, dass ich mich rechtfertigen musste. „Ich hab vor ein paar Minuten gebrochen und kann gerade echt nicht mehr trinken.“ Ich aß ein bisschen Banane und machte mir Gedanken über die Plempe, die ich ja schon fertig als Sirup angemixt hatte. Die Mischung war keinesfalls mehr trinkbar für mich. Meine Idee war nun die Fructose wegzulassen. Ich wollte eine weniger süße Plempe haben. „Björn, kannst du mir 70 g Malto und eine Brise Salz in die Flasche tun“. Geschmacklich keine Offenbarung. Malto 6 mit Plastearoma. Genussvoll ist hier gar nichts mehr nach 11 Stunden Renndauer. Doch der Kopf war… hart. Ich ereichte den Bernina in etwas über zwei Stunden und machte Zeit gut auf den Robert von 2015.
Schweinekarre vs. Hirschkuh
Auf dem Bernina wollte ich nicht anhalten. Standzeit eben. Ich fuhr noch immer mit einem Trikot, Armlingen und einer dünnen Weste am Oberkörper. Die Abfahrt war so doch etwas zu kalt. Ich begann zu frieren. 7 Grad hatte es etwa. Ich zitterte und links neben mir rannten Hirsche. Das nahm ich noch war. Zum Glück nicht, wie es eine Hirschkuh mit der Schweinekarre aufnahm und unser Begleitauto hinten links touchierte. Das wurde mir dann mitgeteilt, als ich zum Jacke anziehen, anhielt. „Wir hatten Wildkontakt“. „Ok“. Es war mir gerade herzlich egal. Das Auto war bei mir, es ist nichts passiert. Es geht weiter. Zum Glück bekam ich nicht von dem Vorfall mit. Hilde musste mit der Rennleitung und Schweizer Behörden telefonieren. Ein Wildunfall kann schnell einiges an Behördenkram nach sich ziehen. Auf die Schweinecrew war wieder Verlass dieses Jahr. Ich konnte mich auf das Wesentliche konzetrieren. Treten, Trinken und die ein oder andere magenberuhigende Frischeiwaffel essen. In La Punt war gut Druck auf dem Pedal. Über 200 Watt. Ich spürte, das ich nun doch besser als letztes Jahr drauf war. Der Albulapass von La Punt ist nach 12 Stunden Rennzeit nicht mehr als eine kurzer Anstieg, der im Rausch der Nacht vergeht. Ich fuhr wieder ohne Stop über die Passhöhe drüber.
Anhalten nur wenn ich musste. Rote Ampeln mit Bewegungsmeldern, die erst auf Grün schalten, wenn man steht. Ganz fiese Erfindung für jeden RATA-Teilnehmer, mit Zwang möglichst schnell das Ziel zu erreichen. Von diesen erzwungenen Stops gabe es einige dieses Jahr. Im letzten Jahr hatte ich große Müdigkeitsprobleme in der Abfahrt vom Albula. Kein Problem dieses Jahr. Da wo ich letztes Jahr im Auto der Schweinekarre saß und erst nach 9 Minuten wieder auf das Rad stieg, fuhr ich nun mein Tempo weiter. Nicht mehr schnell, aber konstant. Ich fragte daraufhin mal wieder, wie ich nun im Zeitplan liegen würde. Ich erhoffte mir eine positive Antwort und konnte es kaum glauben. Mein Rückstand von 15 min zu 2015 hatte sich nicht verringert. Was mach ich hier? Ich fahr mit gleicher oder mehr Leistung, mache keine Pausen, aber liege zurück. Was läuft hier verkehrt? Sind es die Abfahrten, die ich langsamer fahre? Stimmen überhaupt die Zwischenzeiten? Waren letztes Jahr perfekte Bedingungen? Die Unsicherheit wuchs, als man mir dann auch noch offenbarte, dass sich Walter Sageder auf meiner Verfolgung befinden würde und derzeit einen starken Eindruck macht. Nur wenige Minuten hinter mir. „Na klasse“, wird es also doch spannender als mir lieb ist. Ich fuhr mein Tempo, kontrierte mich auf mein Rennen und glaubte an mich, dass meine Geschwindigkeit am Berg reichen würde. Kontrollierte Offensive. Ein RATA fährt man am besten nie mit dem Tempo, was man fahren könnte. Zu groß ist das Risiko sich leer zu fahren. Vorallem wenn man zur Abwechslung eine Flasche Plempe bekommt, die das Plastearoma des Maltos mit dem Geschmack von lauwarmen Meerwasser verbindet. Björn hatte etwas zu viel Salz in die Flasche getan. Ein großer Schluck und schon war der Mageninhalt wieder auf der Straße. „Boah, ist das ekelhaft“. Mir ging es mal wieder nicht sooo gut. Doch einen ticken musste ich zu legen, wenn Walter Sageder von hinten in Anmarsch ist. Durch Davos fahrend, erleichterte ich nochmal meine Blase und fuhr in den Flüela. Gut lief es nicht. Ich war müde. Zwar trank ich jetzt mehr und mehr Eistee, der schmeckte mir richtig gut, aber ist der Koffein und Zuckergehalt zu gering, um wirklich Wunder zu bewirken. Ohne meine Koffeinplempe nahm ich quasi kein Koffein zu mir. Große Müdigkeit machte sich breit. Ich fuhr berghoch schon ziemliche Schlenker. Ich hatte ein Tief.
Oben am Flüela schaute ich mich um. Es wurde langsam wieder hell. Ich sah Walter Sageder. Kaum zu glauben, da war er wirklich! Der Walter, diese Maschine von Radfahrer. Am Stelvio schon schwer am atmen, trennten uns nun etwa 50 Höhenmeter. Ein Witz nach der Renndauer. Nun hatte ich richtig Druck und in der rasanten Abfahrt vom Flüela meine größte Schwäche während des RATAs. Ich war totmüde. Musste eigentlich vom Bock runter, aber das konnte ich einfach nicht machen. Mir zog es die Augen zu, mit voller Konzentration versuchte ich jede Lenkbewegung war zunehmen. Ein gefährliches Spiel war das. Und dann machte ich wirklich einen großen Schlenker auf der Abfahrt. Die Schweinekarre war in Aufregung und hupte mich an. Voller Adrenalin getränkt, änderte sich mein Zustand von totmüde in müde. Damit kann man wenigstens wieder sicher bergab fahren. In Susch ertönte plötzlich ein Bass in den Ohren. Ist das etwa Musik aus der Schweinekarre? Wollen die mich so munter machen? Oder kommt endlich Walter von hinten und erlöst das Schwein, was mit den Nerven gerade am Ende ist? Ich drehte mich um, nix zu sehen von Walter. Der Bass wird lauter. Achja, bei Zernez findet irgendein größeres Musikfestival statt. Früh um fünf mitten in den Alpen. Wie kann man nur sowas freiwillig machen? Vermutlich denken das die Besucher ebenso über uns kauputten Radfahrer.
Das Ende in Sicht. Ofenpass, Umbrail, Stelvio.
Ich weiß nicht, woher die plötzliche Zuversicht kam, aber mit dem Ausblick auf Ofenpass, Umbrail und absehbarer Renndauer war ich mir doch sehr sicher, dass ich das Ding nun nach Hause schaukeln kann und mir Walter nicht gefährlich werden wird. Zum Ofenpass hoch lag wieder Druck an. Als von Walter beim Zurückschauen nichts zu sehen war, fuhr ich wieder mein Rennen. Mein Kopf war klar. Licht ab, Jacke aus. Weiter 15 Minuten Rückstand auf meine Durchgangszeit von 2015 am Ofenpass.
Ich war heiß darauf, den Umbrail zu rocken und wusste nun, dass ich zumindest die 21:36 min vom Vorjahr unterbieten kann, wenn ich nicht in Prato einen „üblen“ Notstop einlegen muss.
Der Umbrail am Morgen ist einfach nur grandios zu fahren. Wunderschön und wirklich kurzweilig. Auch dank unseres Filmteams. Manu und Matthias. Zwei echte Freaks, die im Vorfeld angefragt haben, ob sie uns als Außenstehende begleiten und filmen können. Matthias ist selber schon mehrmals das RATA gefahren. Sie fuhren nun das RATA mit ihrem Filmwagen mit. Machten Aufnahmen, stoppten ab und zu Abstände zu Walter und Severin und boten die ein oder andere Überraschung in Form von abgefahrenen Kostümen, die Didi Senft ernsthafte Konkurrenz machten. Ich bin zwar dieses RATA mit weniger Ausnahmen sehr fokusiert gewesen und hab auch mit der Schweinekarre wenig Funkkkontakt gehabt, aber Abwechslung durch solche optischen Überraschungen lassen einen die Qualen doch kurz vergessen und dann stehen statt 200 Watt kurzzeitig mal 250 Watt auf der Uhr. Danke Manu!
Den Umbrailpass erreichte ich nach 69 min. 5 min schneller als im Vohrjahr. Endlich läuft der Motor. Ein Jahr ohne Leistungsfortschritt, wäre schon leicht enttäuschend gewesen, wenngleich das RATA eben nicht absolutes Saisonhighlight im Kalender ist, sondern der Weltrekordversuch 5 Wochen nach dem RATA, der im Vorfeld eine gute Balance verlangt und kein Training, was im Mai und Juni schon am Rande des Übertrainings ist.
Zurück zur Passhöhe am Umbrail! Die 3 km zum Stelvio waren nun auch keine Hürde mehr und wahrlich keine Qual. Ich fuhr locker mein Tempo und sah an der Passhöhe schon von weit unten meine Eltern, wie sie mir wie wild zu gewunken haben. Es war wirklich Genuss zu diesem Zeitpunkt. Ein Zustand, den ich letztes Jahr von Mortirolo bis zum Ziel nicht mehr erleben durfte. Mit Björn hielt ich noch kurze Rücksprache, was ich in der Abfahrt anziehen sollte. Ich trug nur ein dünnes Trikot und eine noch dünnere Weste drüber und wollte sicherheitshalber eher eine Jacke anziehen.
Die Passhöhe in über 2700 m Höhe erreicht, entschied ich mich aber spontan ohne Jacke die Abfahrt anzugehen. Es wird mit sinkender Höhe schon schnell wieder warm werden und so kam es auch. Björn freute es sichtlich, weil ich im Stile von „The Animal“ einfach durchzog. Die Abfahrt fuhr ich mit Bedacht. Schon wieder viel Verkehr um die Uhrzeit. Getoppt wurde das durch eine Traktorausfahrt. Fast die komplette Stelvioauffahrt war mit unzähligen Traktoren besetzt. Stockender Verkehr am Stelvio und Rußwolken so dunkel, das ich im Ziel mal wieder nicht ganz so sauber ausgesehen habe. Danke zumindest dafür!
Einmal nahm ich Kontakt mit dem Seitenspiegel von der in der Serpentine stehenden Rennleitung auf und ab und zu hing ich genervt hinter einem Fahrzeug fest, doch ich kam ansonsten ohne Schwierigkeiten ins Tal nach Prato. Von Übelkeit diesmal keine Spur. Ich machte mir nur Sorgen um mein Begleitauto. Wieviel Zeit würde es in der Abfahrt wohl verlieren, wenn ich hier schon kaum vorwärts komme? Meine Flasche war fast leer und ich hatte immer noch den Streckenrekord im Visier. Eine Flasche Plempe für die letzte Rennstunde wäre schon gut, um sich nicht zu früh leer zu fahren.
Plötzlich Flashback 2015: Es ist kurz nach 9 Uhr, kurz vor Spondinig und genau die identische Uhrzeit wie 2015. Ich stehe wieder an der Bahnschranke. Der gleiche beschiss… Zug ist wieder nicht in Sicht. Ich konnte mir nur kurz schlechte Gedanken machen, da erlöste mich Björn. Die Schweinekarre war schon da und Björn machte mich mit einem perfekten Rundumservice für den Reschenpass fertig. Weste, Armlinge, Beinlinge, alles überflüssige musste weg. Eine Frischeiwaffel in die Hand gedrückt. Ein paar Gummibärchen ins Trikot gesteckt und eine neue Flasche ans Rad. Alles wieder bereit. Der Zug kam, die Bahnschranke öffnete, das Rennen konnte weiter gehen.
Rechenspiele am Reschenpass
Für die verbleibenden 40 km blieben mir maximal 80 min, um den Rekord zu schaffen. 30er Schnitt rechnete ich mir aus. Eigentlich kaum möglich nach 490 gefahrenen Kilometern, wenn da noch der Reschenpass im Weg steht. Denkste! Der Wind stand so gut und ich fuhr nun mit 240 bis 280 Watt Richtung Reschen und glaubte an meine Möglichkeit auf Rekord zu fahren.
Bei jedem Kilometerschild bis zum Reschen überschlug ich, welchen Schnitt ich fahren muss, um 10:26 Uhr das Ziel zu erreichen. In Fischerhäuser, wo der Großteil der Höhenmeter vom Reschenpasses schon erklommen sind und es eher flach am See dahin rollt, würde es mit einem 40er Schnitt auf den Restkilometern schon verdammt eng werden. Es lief noch immer gut und vom Streckenrand feuerten mich allerhand Radsportler an. Thomas, Jens, Andre und das Leipziger Kuntabunt Team erkannte ich. Klasse und motivierend war das. Ich realisierte jedoch mehr und mehr, der Streckenrekord wird sich nicht mehr positiv ausgehen. Als ich 10:20 Uhr in der Ortschaft Reschen war, von dort geht es nur noch wenige Kilometer bergab bis zum Zielort Nauders, war mir klar, ich schaffe das nicht in 6 Minuten. Die Enttäuschung war aber nur gering. Ich freute mich nun über meinen zweiten Sieg, über das geile Tempo, was noch immer anlag und auf die Zieleinfahrt. Hupkonzert in Nauders und 10:28 Uhr, nach 21:28 h Renndauer fuhr ich ins Ziel, wo Othmar Peer irgendwas von Superstar rief und mich mit dem Publikum herzlich in Empfang nahm. Haha, noch immer ist etwas komisch, so gefeiert zu werden. Ich bekam wieder das obligatorische Bier in die Hand gedrückt. Ich mag das RATA, aber diesem Brauch mit dem Zielbier kann ich echt nichts abgewinnen. Anstatt lieblos dran zu nippen, ließ ich es dieses Jahr gleich sein und drückte das Glas meinem Vater in die Hand, der sich aber auch nicht so recht traute. Interviews geben, Fotos machen, allerhand Glückwünsche entgegen nehmen und mit Walter und Severin die Nächstplatzierten im Ziel begrüßen. Wirklich schön war es gewesen dieses Jahr.
Zurück in der Unterkunft war die Müdigkeit bald unerträglich. Noch in Radklamotten legte ich mich ins Bett und stöhnte im Halbschlaf des öfteren darüber, wie fertig ich mich doch fühle. Ziel erreicht!
Klasse Bericht Robert. Es war ein klasse Wochenende mit der Schweinecrew.
Ich werde das noch lange in Erinnerung behalten.
Lieber Robert
ein sehr interessanter Einblick in das Renngeschehen. Gut geschrieben, ehrlich und informativ. Ein tolles Team hats du an deiner Seite. Viele Erfolg in #Holzhau 🙂
Arno
Sehr schön geschrieben Robert – Danke für das Feeling beim Lesen!
Wahnsinn. Gänsehaut! Glückwunsch! Klasse geschrieben! Werde versuchen in Holzau zum anfeuern vorbei zu kommen.
Hey Robert! Habs heut geschafft dein geilen Bericht vom Rata zu lesen. Ist der Wahnsinn! Ich wünsch dir für Holzhau alles Gute.Werde das Wochende auf jeden Fall rumkommen, um zu sehen wie du das Ding rockst. Ich glaub an dich.
Das Teil zum zweiten Mal zu gewinnen einfach SPITZE. Deine Sichtweise und Darstellung des
RATA finde ich genial.
Ich drücke dir die Daumen für Holzhau, ich komme hin um dich anzufeuern.